Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
nicht.«
»Es ist nicht wichtig?«
»Im Gegenteil. Varak hat es ein ›Täuschungsmanöver‹ genannt. Er glaubte, es sei der Schlüssel zu der Identität des Mannes von Inver Brass, der uns verraten hat.«
»Erklären Sie das.«
Wieder atmete St. Claire tief, und seine Erschöpfung war noch deutlicher sichtbar. »Es betraf MacAndrew. In Chasŏng geschah etwas, das seine Befehlsführung in Mißkredit brachte. Daher kam der Satz ›Mac The Knife, Killer von Chasŏng‹. In der Schlacht gab es eine ungeheure Zahl von Opfern; MacAndrew wurde dafür verantwortlich gemacht. Sobald seine Schuld feststand, nahm man an, es werde damit aufhören. Varak glaubte, es gebe noch etwas anderes, etwas, das MacAndrews Frau hineinzog.«
»Haben Sie je die Zusammensetzung der Truppen von Chasŏng erfahren?«
»Die Zusammensetzung?«
»Die rassische Zusammensetzung.« Kastler beobachtete den alten Mann scharf.
»Nein, ich wußte nicht, daß es so etwas wie eine ›rassische Zusammensetzung‹ gab.«
»Was wäre, wenn ich Ihnen jetzt sagte, daß die Gefallenenlisten von Chasŏng zu den bestgehüteten Geheimnissen in den Archiven der Armee gehören; Hunderte wurden getötet und Hunderte vermißt. Nur siebenunddreißig überlebten, von denen sechs nicht mehr imstande sind, mit ihrer Umwelt in Verbindung zu treten. Wenn ich Ihnen sagte, daß die einunddreißig Überlebenden sich in einunddreißig verschiedenen Hospitälern über das ganze Land verstreut befinden. Würde das alles für Sie etwas bedeuten?«
»Es wäre für mich eine weitere Bestätigung des Verfolgungswahns, der im Pentagon herrscht. Das ist ähnlich dem Hoover-Regime im Bureau.«
»Ist das alles?«
»Wir sprechen von vergeudeten Leben. Vielleicht ist Verfolgungswahn ein zu unbestimmter Ausdruck.«
»Das würde ich auch sagen. Es handelte sich nämlich gar nicht um unnötige Vergeudung von Leben, die man MacAndrew zur Last legen konnte. Es war eine Falle, die unsere eigene Armee aufgestellt hatte. Es war eine Verschwörung in höchsten Kommandokreisen. Jene Truppen — und zwar bis zum letzten Mann — waren schwarz. Es war Rassenmord.«
St. Claire klammerte sich an dem Geländer fest. Sein Gesichtsausdruck war wie erstarrt. Sekunden verstrichen; die einzigen Geräusche, die man hören konnte, waren der Schlag der Wellen gegen die Felsen und die Böen, die über das Wasser wehten. Dann fand der Botschafter seine Stimme wieder.
»Warum, in Gottes Namen, warum?«
Peter starrte den Diplomaten an und empfand gleichzeitig Erleichterung und Verblüffung. Der alte Mann log nicht; der Schock, den er empfand, war echt. An St. Claire waren viele Dinge, die man nicht verzeihen konnte, aber er war nicht der Verräter von Inver Brass. Er hatte die Archive nicht. Peter steckte die Pistole ein.
»Um eine Abwehroperation zu tarnen, die mit MacAndrews Frau zu tun hatte. Um MacAndrew daran zu hindern, Fragen zu stellen. Wenn das herausgekommen wäre, hätte es dazu geführt, daß Dutzende ähnlicher Operationen bekannt geworden wären. Männer und Frauen, die man unter Drogen gesetzt hatte. Mit Haluzinogenen. Experimente, welche die vernichtet hätten, die sie sich ausgedacht hatten. Und dann hätte wahrscheinlich der Mann, den sie in die Falle gelockt haben, einige von ihnen umgebracht: MacAndrew.«
»Und dafür haben sie geopfert — mein Gott!«
»Das bedeutet Chasŏng«, sagte Peter leise. »Alles andere war Varaks Tarnung.«
St. Claire trat einen Schritt vor, die Beine drohten, ihm den Dienst zu versagen, und seine Gesichtszüge waren verzerrt. »Ist Ihnen klar, was Sie damit sagen. Inver Brass — nur ein Mitglied von Inver Brass ist ...«
»Er ist tot.«
St. Claire stieß den Atem aus, es klang wie eine Explosion. Einen Augenblick lang war sein ganzer Körper verkrampft.
Kastler fuhr leise fort. »Sutherland ist tot. Ebenso Jacob Dreyfus. Und Sie haben die Archive nicht. Bleiben zwei Männer. Wells und Montelán.«
Die Nachricht von Dreyfus’ Tod war fast mehr, als St. Claire ertragen konnte. Seine Augen schienen in ihren Höhlen zu schweben.
Er hielt sich am Geländer fest, packte es ungeschickt mit beiden Händen. »Tot. Sie sind tot.« Er flüsterte die Worte ganz leise.
Peter ging auf den alten Mann zu und empfand gleichzeitig Mitgefühl und Erleichterung. Endlich ein Verbündeter! Ein mächtiger Mann, der den Alptraum beenden konnte. »Mr. Ambassador? «
Als St. Claire den Titel hörte, blickte er zu Peter auf. In seinen Augen leuchtete unverkennbar
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