Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
Wichtigkeit«, erwiderte St. Claire. »Jede Stunde, die diese Archive verschwunden bleiben, ist eine Stunde zuviel. Was haben Sie jetzt?«
»So ziemlich alles, was wir brauchen. Meine wichtigsten Quellen waren Kastlers Lektor Anthony Morgan und sein Agent, ein Mann Namens Joshua Harris.«
»Haben sie Sie ohne weiteres unterstützt?«
»Es war nicht schwierig. Ich habe sie überzeugt, das sei das übliche Vorgehen in einem Freigabeverfahren.«
»Freigabeverfahren — wofür denn?«
Varak entnahm dem linken Aktendeckel ein Blatt. »Kastler hatte sich vor seinem Unfall von der Regierungsdruckerei Abschriften über Nürnberger Tribunale schicken lassen. Er schreibt an einem Roman über die Nürnberger Prozesse. Seiner Ansicht nach ist Nürnberg ein großer Schwindel gewesen, und er glaubt, Tausende von Nazis seien straffrei ausgegangen und hätten die Möglichkeit bekommen, in alle möglichen Länder auszuwandern und riesige Summen Geldes mitzunehmen.«
»Da hat er unrecht. Das war die Ausnahme, keineswegs die Regel«, sagte Bravo.
»Trotzdem, einige dieser Abschriften tragen immer noch Geheimvermerke. Die hat er nicht bekommen, aber das weiß er nicht. Ich habe angedeutet, daß er sie doch bekommen hat, und daß ich mit einer Routineüberprüfung beauftragt sei. Nichts Ernsthaftes. Außerdem sagte ich, ich sei einer von Kasterls Fans. Ich ließ durchblicken, daß es mir Spaß mache, mich mit Leuten zu unterhalten, die ihn kennen.«
»Hat er dieses Nürnberg-Buch schon geschrieben?«
»Er hat noch nicht einmal damit angefangen.«
»Ich würde gern wissen, warum.«
Varak warf einen Blick auf ein anderes Blatt und meinte dann: »Kastler wäre im vergangenen Herbst beinahe bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die Frau, die sich in seiner Gesellschaft befand, ist getötet worden. Nach den ärztlichen Akten wäre er nach weiteren zehn Minuten an inneren Blutungen und patogener Toxämie gestorben. Er lag fünf Monate im Krankenhaus. Man hat ihn wieder zusammengeflickt und erwartet eine fünfundachtzig- bis neunzigprozentige Wiederherstellung. Zumindest, was den physischen Teil angeht.« Varak hielt inne und blätterte um.
»Wer war die Frau?« fragte Bravo leise.
Varak wandte sich dem Aktendeckel zu seiner Rechten zu. »Sie hieß Catherine Lowell; sie hatten fast ein Jahr zusammengelebt und beabsichtigten zu heiraten. Sie waren zu seinen Eltern im nordwestlichen Pennsylvanien unterwegs. Ihr Tod war für Kastler ein schrecklicher Schock. Anschließend litt er lange Zeit unter Depressionen. In gewissem Maß tut er das immer noch, sagen sein Lektor und sein Agent.«
»Morgan und Harris«, fügte Bravo hinzu, als ob er sich die Namen einprägen wollte.
»Ja. Sie haben seinen Genesungsprozeß mitverfolgt und mit ihm gelitten; zuerst die physischen Verletzungen, dann die Depressionen. Beide Männer sagten, sie hätten im Verlauf der letzten paar Monate einige Male geglaubt, er sei als Schriftsteller erledigt. «
»Eine ganz vernünftige Annahme. Er hat ja nichts mehr geschrieben. «
»Das sollte er jetzt tun. Er ist in Kalifornien und arbeitet am Drehbuch von Gegenschlag! Obwohl niemand von ihm sehr viel Arbeit erwartet. Er hat keine Erfahrung im Filmgeschäft.«
»Warum hat er dann den Auftrag bekommen?«
»Wegen seines Namens, meint Harris. Und weil das der Filmgesellschaft bei seinem nächsten Buch einen Vorteil über andere verschafft. Jedenfalls hat Harris den Vertrag so eingefädelt.«
»Und das heißt, daß er Kastler einfach beschäftigen wollte, weil er an nichts arbeitete.«
»Nach Harris’ Ansicht belasteten das Haus in Pennsylvania und seine Erinnerungen Kastler. Deshalb wollte er, daß er nach Kalifornien ging.« Varak legte ein paar Seiten um. »Hier steht es. Eine wörtliche Aussage von Harris. Er wollte, daß sein Klient ›die völlig normalen Exzesse eines Bewohners von Malibu erlebte.‹«
Bravo lächelte. »Und haben diese Exzesse eine positive Wirkung? «
»Es gibt einen gewissen Fortschritt. Nicht viel, aber ein wenig.« Varak blickte auf. »Und das ist etwas, das wir nicht zulassen dürfen.«
»Was meinen Sie?«
»Kastler ist für uns in einem psychologisch geschwächten Zustand wesentlich wertvoller.« Der Abwehrmann deutete auf die beiden Aktendeckel. »Die restlichen Papiere hier schildern einen ziemlich normalen Menschen vor dem Unfall. Was an Feindseligkeit oder Exzessen in ihm steckte, übertrug sich auf seine schriftstellerische Arbeit. In seinen normalen
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