Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
Lebensgewohnheiten traten sie nicht zutage. Wenn er in diese Normalwelt zurückkehrt, wird er vorsichtig sein und sich zurückziehen, wenn wir das gar nicht wollen. Ich möchte verhindern, daß er zu einem psychologischen Gleichgewicht zurückkehrt, möchte ihn in einem Zustand der Angst halten.«
St. Claire nahm einen Schluck aus seiner Tasse, ohne auf die Worte des anderen einzugehen. »Fahren Sie bitte fort. Schildern Sie mir seine Lebensumstände.«
»Eigentlich gibt es da nicht viel zu schildern. Er hat ein Apartment in einer alten Backsteinvilla an der Einundsiebzigsten Straße. Er pflegt früh aufzustehen, gewöhnlich noch, bevor es hell wird, und arbeitet dann. Er benutzt keine Schreibmaschine; er schreibt auf gelb liniertes Papier, läßt die Seiten dann kopieren und bedient sich eines Schreibbüros in Greenwich Village.« Wieder blickte Varak auf. »Das könnte uns bei unseren Recherchen nützen. Wir können die Originale abfangen und uns selbst Kopien machen.«
»Und was ist, wenn er in Pennsylvania arbeitet und seine Manuskriptseiten per Boten liefern läßt?«
»Dann müssen wir uns eben Zugang zu dem Büro im Village verschaffen.«
»Ja, natürlich. Weiter bitte.«
»Sonst gibt es nicht mehr viel Wichtiges. Er hat Lieblingsrestaurants, in denen man ihn kennt. Er läuft Ski, spielt Tennis — beides wird ihm vielleicht in Zukunft nicht mehr möglich sein. Seine Freunde, sieht man einmal von Morgan und Harris ab, sind ebenfalls Schriftsteller oder Journalisten, und seltsamerweise ein paar Rechtsanwälte in New York und Washington. Das wäre es wohl schon.« Varak klappte den rechten Aktendeckel zu. »Jetzt würde ich gern auf etwas anderes kommen.«
»Ja?«
»Ich glaube, ich weiß schon, wie man Kastler programmieren muß, aber ich brauche Unterstützung. Ich werde die Longworth-Deckung benutzen; die ist garantiert sicher. Longworth lebt in Hawaii und hält sich dort verborgen. Wir sind uns ziemlich ähnlich — selbst die Narbe stimmt — und seine FBI-Akten sind überprüfbar. Trotzdem sollten wir noch einen zusätzlichen Köder haben, dem Kastler sich nicht entziehen kann.«
»Bitte, werden Sie deutlicher.«
Varak hielt inne und sagte dann voll Überzeugung: »Wir haben ein Verbrechen, aber keine Verschwörung, keine zumindest, die wir identifizieren können. Er muß seinen eigenen Mutmaßungen, seinem eigenen Verdacht nachgehen. Und wir haben keine, die wir ihm liefern können. Wenn wir welche hätten, würden wir ihn überhaupt nicht brauchen.«
»Worauf wollen Sie denn hinaus?« fragte St. Claire, der das Zögern in Varaks Augen bemerkte.
»Ich möchte ein zweites Mitglied von Inver Brass einsetzen. Nach meiner Ansicht den einzigen, der Ihnen, was das Ansehen in der Öffentlichkeit angeht, nahekommt. Sie nennen ihn Venice. Richter Daniel Sutherland. Ich möchte Kastler zu ihm schicken können.«
Der Diplomat blieb ein paar Augenblicke lang stumm. »Um dem Gewicht zu verleihen, was Sie Kastler sagen? Als unwiderlegbare Bestätigung?«
»Ja. Um das zu belegen, was wir über die verschwundenen Archive behaupten. Das ist alles, was ich brauche. Sutherlands Stimme wird der Köder sein, dem Kastler nicht widerstehen kann.«
»Das ist gefährlich«, sagte Bravo mit leiser Stimme. »Kein Angehöriger von Inver Brass sollte je sichtbar in eine Strategie eingeschaltet werden.«
»Die Umstände erfordern es. Sie habe ich nicht in Betracht gezogen, weil Sie schon einmal mit Kastler zu tun hatten.«
»Ich verstehe. Es würde Anlaß zu Fragen geben. Ich werde mit Venice sprechen ... Aber jetzt möchte ich, wenn Sie gestatten, auf etwas, das Sie sagten, zurückkommen. Kastlers psychologischer Zustand. Wenn ich Sie richtig verstanden habe ...«
»Sie haben mich richtig verstanden«, unterbrach Varak mit leiser Stimme. »Wir dürfen nicht zulassen, daß Kastler sich erholt. Es darf nicht dazu kommen, daß er wieder ganz logisch und rational funktioniert. Er muß Aufmerksamkeit auf sich und seine Recherchen lenken. Und wenn er sprunghaft bleibt, dann wird er
zur Gefahr. Und wenn diese Gefahr groß genug ist, werden die Leute, in deren Besitz sich die Archive befinden, sich gezwungen sehen, diese Gefahr auszuschalten. Und wenn das geschieht — dann werden wir zur Stelle sein.«
Bravo beugte sich vor und wirkte plötzlich besorgt. »Ich glaube, das geht über die Grenzen hinaus, die wir festgelegt haben.«
»Ich wußte nicht, daß wir Grenzen festgelegt hatten.«
»Eigentlich schon. Jedenfalls
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