Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
sich. Aber er war jetzt nicht in der Stimmung,
gemächlich in einem eleganten Restaurant eine Mahlzeit einzunehmen. Das würde ihn verrückt machen, und er würde sich nicht entscheiden können, ob er seinem Literaturagenten vertrauen oder nicht vertrauen sollte.
»Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir das einen Tag verschieben, sofern dir das paßt? Ehrlich gesagt, ich habe von halb fünf Uhr heute früh bis vier Uhr nachmittags gearbeitet. Dann noch die Fahrt... ich bin richtig durchgedreht.«
»Dann wird das Hoover-Buch also etwas?«
»Es geht besser und schneller voran, als ich für möglich gehalten hätte.«
»Fein, Peter. Das freut mich für dich. Seltsam, daß Tony mir nichts gesagt hat.«
Kastler ließ ihn nicht weiterreden. »Er weiß noch gar nichts. Das ist das längste Expose, das ich je gemacht habe; er wird ein paar Tage brauchen, um es zu lesen.«
Warum sagte er eigentlich nicht, daß er mit dem verdammten Buch schon angefangen hatte?
»Du wirst mir natürlich eine Kopie bringen«, sagte Harris. »Ich traue euch beiden nicht. Wenn man euch mit so vielen Manuskriptseiten allein läßt ... «
»Morgen abend, das verspreche ich.«
»Also, morgen abend. Ich werde anrufen und den Tisch umbestellen. Gute Nacht, Peter.«
»Gute Nacht.« Kastler legte auf und ging an das Fenster, von dem aus man auf die Einundsiebzigste Straße hinunterblicken konnte. Es war eine stille, von Bäumen gesäumte Straße, eine Gegend, wie man sie gewöhnlich mit einer anderen Epoche dieser Stadt in Verbindung brachte.
Während er zum Fenster hinaussah, merkte er plötzlich, daß sich ihm ein anderes Gesicht aufdrängte. Er wußte, daß das Bild nicht wirklich war, aber er war nicht imstande, es zu verdrängen. Es war das makabre Gesicht in dem Continental. Er blickte wieder jene schreckliche Maske an! Sie war im Glas, starrte ihn an, da waren die unsichtbaren Augen hinter der riesigen, dunklen Brille, der grellrote Lippenstift über dem weißen Puder.
Peter schloß die Augen und fuhr sich mit der Hand an die Stirn. Was hatte er tun wollen, ehe Josh anrief? Es hatte etwas mit diesem schrecklichen Bild im Fenster zu tun. Und dem Telefon. Er hatte telefonieren wollen.
Das Telefon klingelte. Aber es hatte doch vor ein paar Augenblicken erst geklingelt. Es konnte doch nicht schon wieder klingeln.
Aber es klingelte. Herrgott! Er mußte sich hinlegen, seine Schläfen schmerzten, und er war nicht sicher — du mußt den Hörer abnehmen. Er hinkte durchs Zimmer.
»Kastler?«
»Ja.«
»Rawlins. Sind Sie morgens wach?«
»Soll das ein Witz sein?«
»Hm?«
»Ich arbeite früh immer.«
»Das ist mir egal. Kennen Sie einen Ort hier in New York, der sich The Cloisters nennt?«
»Ja.« Peter hielt den Atem an. War das auch ein schrecklicher Witz? The Cloisters war einer der Lieblingsorte von Cathy gewesen. An wie vielen Sonntagen im Sommer waren sie dort über den Rasen gegangen? Aber Rawlins konnte das nicht wissen. Oder doch?
»Seien Sie morgen früh um halb sechs dort. Nehmen Sie den Westeingang; das Tor wird offen sein. Etwa hundert Meter nördlich davon gibt es einen Weg, der in einen offenen Hof führt. Dort treffen wir uns.« Es klickte, und die Leitung war tot.
Der Mann aus den Südstaaten hatte sich da einen seltsamen Ort und eine noch seltsamere Stunde ausgewählt. Die Wahl eines verängstigten Mannes. Alan Longworth hatte wieder Angst ausgelöst; er würde ihn aufhalten müssen, diesen ›pensionierten‹ Agenten, diesen Revolverhelden mit Gewissenbissen.
Aber jetzt war nicht die Zeit, über Longworth nachzudenken. Peter wußte, daß er jetzt ausruhen mußte. Es würde bald halb fünf sein.
Er ging ins Schlafzimmer, schlüpfte aus den Schuhen und knöpfte sein Hemd auf. Dann setzte er sich auf den Bettrand, und plötzlich fiel er, ohne es zu wollen, nach rückwärts, und sein Kopf sank ins Kissen.
Und dann kamen die Träume. Und die Alpträume.
Das Gras war vom Tau feucht, und am östlichen Himmel waren die ersten Strahlen der Morgensonne zu sehen. Überall standen Statuen und knorrige Bäume, die aus fernen Jahrhunderten zu stammen schienen. Jetzt fehlte nur noch Lautenmusik oder sanfte Stimmen, die Madrigale sangen.
Kastler fand den Weg. Er war von Blumen gesäumt und führte über einen kleinen Hügel auf Steinmauern zu, die sich als die Nachbildung eines Klostergartens aus einem französischen Kloster
aus dem 13. Jahrhundert erwiesen. Er ging auf die Mauer zu und blieb vor einem alten Bogen
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