Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
Eßzimmer.
» Alison! «
Die Schreie verstummten plötzlich, und an ihre Stelle trat ein leises Jammern und Schluchzen. Sie kamen von der anderen Seite des Hauses, jenseits des Ganges und des Wohnzimmers. Von MacAndrews Arbeitszimmer!
Peter raste durch das Zimmer, trat einen Stuhl weg, der ihm im Weg stand, fegte einen anderen gegen die Wand. Er stieß die Tür des Arbeitszimmers auf, rannte hinein.
Alison kniete auf dem Boden, hielt ein verblichenes, blutbesudeltes Nachthemd in der Hand. Und rings um sie lagen zerschlagene Parfümflaschen. Der Geruch war jetzt überwältigend und Übelkeit erregend.
Und an der Wand, mit blutroter Farbe hingeschmiert, standen die Worte: Mac the Knife. Killer von Chasŏng.
18
Die Farbe an der Wand fühlte sich weich an, war aber nicht naß. Das Blut an dem zerrissenen Nachthemd war feucht. Das Arbeitszimmer des Generals war gründlich von Fachleuten durchsucht worden. Man hatte den Schreibtisch in seine Bestandteile zerlegt und die Lederpolster sorgfältig aufgeschlitzt. Die Verkleidungen unter den Fensterbänken und die schweren Gardinen waren zerlegt, bzw. entfernt worden, der Bücherschrank seines Inhalts beraubt, und die einzelnen Bände aufgeschnitten worden.
Peter führte Alison in die Küche zurück und füllte dort zwei Gläser mit Scotch. Er ging in den Keller zurück, setzte die Heizung
in Gang und verstopfte das zerbrochene Fenster mit Lumpen. Wieder oben, entdeckte er im Wohnzimmer, daß der Kamin funktionierte; mehr als ein Dutzend Holzscheite lagen in einem großen Weidenkorb rechts von dem Kamingitter. Er entzündete ein Feuer und setzte sich mit Alison davor auf die Couch. Langsam verblaßte der Schrecken, aber die Fragen blieben.
»Was ist Chasŏng?« fragte er.
»Ich weiß nicht. Ich glaube, das ist ein Ort in Korea, aber ich bin nicht sicher.«
»Wenn wir das herausfinden, erfahren wir vielleicht auch, was dort geschehen ist. Was die hier suchten.«
»Alles Mögliche kann geschehen sein. Es war Krieg und ...« Sie hielt inne, blickte in die Flammen.
»Und er war ein Soldat, der andere Soldaten in den Kampf schickte. Vielleicht war es so einfach. Jemand, der einen Sohn oder einen Bruder verloren hat, jemand, der Rache suchte. Ich habe schon von solchen Dingen gehört.«
»Aber warum gerade er? Es hat Hunderte wie ihn gegeben. Und er war dafür bekannt, daß er seine Männer führte, nicht hinten blieb. Keiner hat je einen seiner Befehle in Zweifel gezogen. Nicht so.«
»Doch. Jemand hat das getan«, sagte Peter. »Jemand, der sehr krank ist.«
Sie sah ihn einige Augenblicke lang an, ohne zu antworten. »Sie wissen, was Sie sagen, nicht wahr? Ob krank oder nicht, was auch immer der oder die Betreffende weiß oder zu wissen glaubt, es ist die Wahrheit.«
»So weit habe ich mir das noch gar nicht überlegt. Ich bin nicht sicher, daß das daraus folgert.«
»Das muß es. Mein Vater hätte nie allem, an das er glaubte, den Rücken gekehrt, wenn es etwas anderes gewesen wäre.« Sie schauderte. »Was mag es sein, das er getan hat?«
»Es hatte etwas mit Ihrer Mutter zu tun.«
»Unmöglich.«
»Ist es das? Ich habe dieses Nachthemd an dem Nachmittag gesehen, an dem ich hier war. Da trug sie es. Sie war gestürzt. Rings um sie lagen Glasscherben.«
»Sie zerbrach immer alles Mögliche. Sie konnte sehr destruktiv sein. Das Nachthemd ist ein letzter, grausamer Scherz. Ich glaube, das soll die Impotenz meines Vaters symbolisieren. Das war kein Geheimnis.«
»Wo war Ihre Mutter während des Korea-Krieges?«
»In Tokio. Wir waren beide dort.«
»Das war 1950 oder 1951?«
»Ja, um die Zeit. Ich war sehr jung.«
»Etwa sechs Jahre alt?«
»Ja.«
Peter nippte an seinem Scotch. »War das die Zeit, als Ihre Mutter krank wurde?«
»Ja.«
»Ihr Vater hat gesagt, es hätte einen Unfall gegeben. Erinnern Sie sich, was geschah?«
»Ich weiß, was geschah. Sie ist ertrunken. Ich meine, sie ertrank wirklich. Sie haben sie mit Elektroschocks wieder zum Leben erweckt, aber der Sauerstoffmangel hatte schon zu lange angedauert. Er reichte aus, um die Gehirnschäden zu verursachen.«
»Wie ist es passiert? »Sie geriet in die Strömung am Strand von Funabashi. Sie wurde hinausgetrieben. Die Leute vom Rettungsdienst konnten sie nicht mehr rechtzeitig erreichen.«
Eine Weile schwiegen beide. Kastler leerte sein Glas, stand auf und stocherte im Feuer herum. »Soll ich uns etwas zu essen machen? Anschließend können wir dann ...«
»Ich gehe dort nicht mehr
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