Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Film über Aids und Kirche: Vor Jahren hatte Jim Allen, ein Baptisten-Pfarrer, bei der First Baptist Church in Arlington um Aufnahme in die Gemeinde gebeten. Für sich – und vor allem die Familie seines aidskranken Sohnes. Sie wurden abgelehnt. Heute ist der Pastor Wade bereit, vor der Kamera Selbstkritik zu üben.
Die beiden stehen im oberen Chor der riesigen leeren Kirche. In den steinernen Altarblock sind die Worte des letzten Abendmahls eingemeißelt: »Tut dies zur Erinnerung an mich.«
»Wir haben damals versagt«, sagt Pastor Wade. »Wir haben uns nicht verhalten wie Jesus.« Schnitt. »Vielleicht«, fragt Peggy, »kann man es bildhafter sagen, deutlicher.« Pastor Wade setzt neu an. »In der Gemeinde gab es hysterische Angst vor Ansteckung, vor einer unbekannten Krankheit. Doch das ist keine Entschuldigung. Christus hat seine Hand nach den Leprakranken ausgestreckt – und wir haben diese Familie durch unsere Finger gleiten lassen.«
Nun nickt Peggy zufrieden. Während die Crew andere Einstellungen für die Anschlussschnitte dreht, unterhält sie sich mit Wade über den politischen Riss, der die »Southern Baptists« entzweit. Beide sind sich einig, dass es bald zum endgültigen Bruch kommen wird.
Unter Jimmy Carter beriefen sich die Demokraten auf Gott, unter Reagan waren es die Republikaner. In den 60er Jahren marschierte Gott mit Martin Luther King. In den neunziger Jahren reklamieren ihn die Aktivisten der Abtreibungsgegner für sich.
Baptist Bill Clinton warnte seine Parteifreunde davor, »alle Christen als Rechtsradikale zu diffamieren«. Doch auch er musste hinnehmen, dass der öffentliche Raum derzeit den christlichen Fundis gehört, die gegen die Sünde der Homosexualität predigen und militant gegen Abtreibung mobilisieren.
Sie nehmen die Schrift wörtlich. Viele von ihnen glauben, dass die letzten Tage angebrochen sind.
»Die wollen den autoritären Gottesstaat«, sagt Pastor Wade schaudernd. »Es gibt einfach zu viel Angst«, sagt Peggy. »Auf beiden Seiten.«
Pensacola, der Küstenort im Nordwesten Floridas, besteht aus Shopping Malls, Motels für den Billigtourismus und Kirchen. Vielen Kirchen. Pensacola kann die höchste Kirchendichte des Landes aufweisen, und die höchste Mordrate an Abtreibungsärzten. Fünf Menschen sind hier in den letzten zwei Jahren ums Leben gekommen.
Seit einigen Wochen ist es gespenstisch ruhig im dunklen Holzhaus, dem Ladies Center an der Neunten Avenue. Einige Marshalls bewachen das menschenleere Gelände. Doch draußen, auf einer Grasnarbe gleich neben dem Zaun, steht John Burt und hisst seine Flaggen.
Es ist die Fahne der Militanten Christen, rotes Kreuz auf weißem Grund. Darunter weht eine Klapperschlange. Im Gras eine Friedhofsfigur, daneben ein Schild: »Zum Gedenken an die 26 Millionen Babys, die seit 1973 im amerikanischen Holocaust umgekommen sind.« Die Grasnarbe gehört zu einem Belagerungsring. Für 15 000 Dollar hat John Burt den schmalen Streifen Land rund um die Abtreibungsklinik aufgekauft und für den Stellungskrieg präpariert. Mit Podesten und Kreuzen und Flaggen. Hier standen sie und brüllten und schwangen ihre Bibeln und drohten den schwangeren Frauen, die den Hof zur Klinik betraten, ewige Verdammnis. Bis vor einigen Wochen. Da hatte ein blasser Psychopath mit seiner Neun-Millimeter-Pistole dem Doktor, seinem Leibwächter und dessen Frau gedroht und dann abgedrückt.
Seither, sagt John Burt, seien »keine Babys mehr getötet worden. « Graublaue Augen in einem zernarbten Gesicht. Über dem Hängebauch spannt sich ein schwarzes T-Shirt, auf dem Jesus
mit einem Kind abgebildet ist. Darunter der Spruch: »Wie viele Leben müssen verloren werden?«
Ob sein christliches Mitleid auch für die ermordeten Doktoren gelte? Betet er für sie? »Das hat keinen Sinn mehr«, sagt John Burt. »Sie sind bereits in der Hölle.« Woher er das weiß? »Bei einer Neun-Millimeter-Automatic bleibt einem keine Zeit mehr, zu bereuen.«
In Burts Verständnis des Christentums brennt das Höllenfeuer, ist die Verdammnis total. Er ist die Nachtseite amerikanischer Religiosität, fanatisch und dunkel und blutig wie die Pistolero-Prediger in den Romanen Cormack McCarthys. Wenn Peggy Wehmeyer das freundliche Gesicht der Christen-Renaissance ist, ist John Burt das finstere. Peggy ist gutsituierter christlicher Mittelstand. John Burt ist religiöser White Trash, der Soziopath im Zeichen des Kreuzes.
Auch seine Geschichte ist die einer Rettung. Er hatte
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