Das katholische Abenteuer - eine Provokation
campierten.
Die aus den USA oft im Schutz der CIA eingesickerten Evangelikalen mit ihrem Wohlstandsevangelium (»Streng dich an, du bist deines Glückes Schmied«) waren prinzipiell staatstreu. Die Katholiken prinzipiell aufsässig. Aufsässiger, als es Rom lieb sein konnte. Manche hatten den Marxismus mit der Bibel
verwechselt und über dem Kampf für Gerechtigkeit und das Paradies auf Erden ihre seelsorgerischen Aufgaben vergessen, weshalb sich die Kirche in den 70er Jahren von der Befreiungstheologie distanzierte.
Der jetzige Papst hatte als Chef der Glaubenskongregation den Entzug der Lehrerlaubnis für den Franziskaner-Pater und Befreiungstheologen Leonardo Boff verantwortet. Dabei ging es allerdings gar nicht um Marxismus, sondern um Boffs Zweifel an Rom, an den Dogmen, und um sein unverhohlenes Werben für die befreiende Kraft des Synkretismus. In ihren Sozialenzykliken haben weder er noch sein Vorgänger je einen Zweifel daran gelassen, dass sie das Treiben des entfesselten Turbo-Kapitalismus verdammen.
Unser Alltag in Rio de Janeiro war katholisch, und ständig wurden wir daran erinnert. In den Favelas waren oft die katholischen Priester meine Kontaktpersonen und Ansprechpartner. Sie waren es, die sich den Drogengangstern in den Weg stellten, die ihre Gottesdienste und ihre Kindergärten und Sozialstationen gegen das Elend ringsum verteidigten und für Inseln der Hoffnung und Gerechtigkeit sorgten.
Katholisch war die Luft, die wir atmeten. Wie anders auch in einer Stadt, über der sich auf dem 710 Meter hohen Corcovado-Felsen die Figur des Christo Redentor erhebt, von Christus, dem Retter, der mit seinen ausgebreiteten Armen diesen wilden, diesen liebenden und mordenden und tanzenden und trauernden Lebensdschungel zu seinen Fußen zu schützen und zu segnen scheint. Selbstverständlich bekreuzigte sich unser Sicherheitsmann, wenn er an einer Kirche oder einem Friedhof vorbeikam. »Wir werden uns wiedersehen«, sagte man zum Abschied, »se deus quizer«. Wenn Gott so will. Ja, natürlich kommen wir pünktlich – se deus quizer.
Gott wollte eher selten, er hat sich wohl mehr auf die Pünktlichkeit der Deutschen konzentriert. Der Gott der Brasilianer ist da einfach ein bisschen schlampiger, zumindest der Komödie Gott ist ein Brasilianer zufolge, die zum absoluten Superhit des Jahres 2003 geworden war. Die Filmidee stammte aus João Ubaldo Ribeiros Kurzgeschichte vom Heiligen, der nicht an Gott glaubte. Regisseur Carlos Diegues hatte die Geschichte weitergesponnen. Gott, hoffnungslos überarbeitet, braucht eine Pause und sucht eine Urlaubsvertretung, einen Heiligen, einen guten Menschen – und trifft unter dem endlosen Himmel des armen brasilianischen Nordostens auf den Herumtreiber Tacoa. Die Analphabetenrate ist hoch hier und die Armut endemisch und – unter diesem Himmel – unglaublich malerisch. Es ist eine Landschaft, in der der Aberglaube blüht und der Einfallsreichtum unbegrenzt ist.
Was Tacoa, den von Gott angesprochenen Fischer angeht – er denkt nicht mehr daran, zu angeln, sondern versucht aus den Special Effects dieses weißbärtigen Reisenden, eben aus den Wundern Gottes, Kapital zu schlagen. Die Lage wird ins Frivole kompliziert, als sich die junge Prostituierte Madá in Gott verguckt. Aber welche brasilianische Frau wäre da nicht in Gefahr, denn Gott wird von Brasiliens populärstem Schauspieler, von Telenovela-Star Antonio Fagundes in aufgeknöpfter Urlaubslaune verkörpert. Er verströmt Lebenslust und Virilität aus jeder Pore und gibt diesem Film boulevardeske Leichtigkeit.
Natürlich hat dieser Film ein Happy End. Gott, der angesichts der brasilianischen Zustände zunächst kopfschüttelnd Verbesserungsvorschläge
notiert, schmeißt am Ende seine Notate über Bord. Und zwar lächelnd, nach einem Blick auf den Strauchdieb und die junge Prostituierte, die in Liebe zueinander gefunden haben. Seine Geste sagt: Dieses Land ist nicht perfekt, aber es ist trotzdem wunderbar.
Der Romancier João Ubaldo Ribeiro allerdings mochte den Film nicht – und das hing mit seiner Gottesvorstellung zusammen.
JOÃO UBALDO RIBEIRO: Gott kommt nicht in den Nordosten, um Urlaub zu machen. Das finde ich ein bisschen lächerlich. Gott braucht keinen Urlaub.
ICH: Sie mochten den Film nicht?
JOÃO UBALDO RIBEIRO: Diegues, der Regisseur, ist mein Freund. Aber ich bin nicht übermäßig begeistert. Ich: Glauben Sie nicht an Gott?
JOÃO UBALDO RIBEIRO: Ja, aber nicht im Sinne einer
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