Das katholische Abenteuer - eine Provokation
erneuert, verlorene Gemeindemitglieder neu aufgenommen, in den Predigten wurde von Söhnen erzählt, die erschossen worden waren, und dann wurde der Zorn Gottes auf die Täter herabbeschworen, und im Friedensgruß nach dem »Vater unser« fiel man sich um den Hals. Eines Tages war der Küster tot aufgefunden worden. Er war von Drogengangstern gefoltert und ermordet worden. Der Pfarrer blieb weg, aus Angst. Sein Ersatz war ein Hüne, ein Militärpfarrer, der mit volltönendem Bass vor der Gemeinde stand wie der sprichwörtliche Fels.
Vor dem Seitenaltar mit der Madonna waren die meisten Kerzen aufgestellt. An die Gottesmutter wandten sich alle. Sie hatte das Ohr des Herrn. Madonnen sind wichtig im figurenreichen, üppig schwellenden Katholizismus Lateinamerikas.
Marienprozessionen können zur Staatsaktion werden. Eine der berühmtesten ist die der »Cirio de Nazaree« in Belem an der Amazonas-Mündung, ein 15-tägiges Festival mit rund zwei Millionen Besuchern und Mitwirkenden und Frommen aus aller Welt. Es beginnt mit der feierlichen Zur-Schau-Stellung eines wunderwirkenden Madonnen-Bildnisses, das ein Jäger 1700 im Wald gefunden haben soll. In einer prächtig geschmückten Barke wird es flussabwärts geführt, flankiert von Schiffen der
Kriegsmarine, des Gouverneurs und anderer Honoratioren sowie von Hunderten von Fischerbooten. Sodann wird es unter Gebeten und Gesängen durch die Stadt getragen, wobei alle versuchen, das Tau zu erhaschen, das an den rollenden Altar mit der Madonna gebunden ist. Stundenlang windet sich dieser vielköpfige Lindwurm durch Straßen und Gassen und Uferwege durch die schwüle tropische Nacht, das dicke Tau ist durchtränkt von Schweiß und Hingabe und Hoffnungen und Wünschen. Es ist tatsächlich tropfend schwer von Frömmigkeit.
Im Volksglauben spielt Maria eine eminent wichtige Rolle für die Lateinamerikaner. Die größte Marienprozession der Anden habe ich im bolivianischen Cochabamba erlebt, und dort war sie eine Mischung aus Volksfest und Voodoo und politischem Staatsakt.
Der Katholizismus in Lateinamerika hat eine düstere und eine glühende Tradition. Er kam mit den Conquistadoren, und seine Wurzeln schließen sich um den vorgefundenen animistischen Glauben der Indios. Gleichzeitig richteten die Patres Missionsschulen ein und Krankenstationen, sie brachten mit der Medizin und der christlichen Botschaft humanisierende Elemente in die Kolonialgeschichte. Besonders die Jesuiten kümmerten sich um Erhaltung von Kultur und lokalen Sprachen. Sie errichteten in Paraguay eine Art Urkommunismus und Gottesstaat, sie halfen den dort ansässigen Guaranís mit autarker Verwaltung und kollektiver Bewirtschaftung. Vor allem aber bemühten sie sich, eine Verteidigung aufzubauen gegen die brasilianischen Sklavenjäger, die immer wieder in ihr Gebiet eindrangen, und konnten sie tatsächlich erfolgreich zurückschlagen. Doch schließlich entschied sich der spanische Hof gegen dieses aufrührerische Experiment, die Jesuiten wurden
vertrieben, und die Ureinwohner gerieten in Gefangenschaft oder wurden aufgerieben.
Auf meinen Amazonasreisen habe ich die wunderlichsten synkretistischen Vermischungen erlebt aus Katholizismus und Waldglauben, aus Cadomblé und liturgischem Kalender. Heilige wurden zu Dschungelgöttern, selbst eine anverwandelte Jungfrau Maria gab es. Eines habe ich immer gespürt: wie wesentlich der Katholizismus für die Entrechteten war. Egal, ob es sich um die Kirche der Gummipflanzer handelte oder die Indio-Station am oberen Amazonas, wo Jesuiten die Schule führten und von dort aus mit ihren Sanitätsbooten stromaufwärts zu den Stämmen fuhren.
Jesuiten, die Soldaten Gottes. Sie waren überall in Lateinamerika aktiv, auf Seiten der Schwachen. Viele von ihnen ließen ihr Leben, als sie in Guatemala auf der Seite der Indios kämpften gegen die Milizionäre und CIA-Killer. Ich habe dort Folterkammern mit Fleischerhaken gesehen, ich war dabei, als Skelette und Kleidungsstücke ausgebuddelt wurden. Und ich habe mir die Geschichten angehört, von katholischen Priestern, die mehr Mut zeigten als all die hirnlosen Wohlstandsatheisten in unseren Breiten, die ständig die Legende nachplappern, dass die Kirche grundsätzlich auf Seiten der Unterdrücker zu suchen sei. Ich habe mit den Landlosen-Aktivisten in Brasilien gesprochen und mit Patres, von denen sie gegen die Willkürjustiz der Plantagenbesitzer verteidigt wurden. Die mit ihnen marschierten, mit ihnen kämpften und
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