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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Spruch, sie sollten die Angelegenheit als »Campingwochenende« begreifen, denn schließlich fehle es an nichts.
    Alle diese Beispiele wären nicht erwähnenswert, wenn es nicht diese leise Instanz in uns gäbe, die Einspruch erhebt. Wenn wir nicht tatsächlich mehr wären als nur das Produkt »egoistischer Gene«, als das uns unser naturwissenschaftlicher Metaphysiker Richard Dawkins sieht.
    Albert Schweitzer, der Missionar des Mitleids, sagte: »Die Welt, dem unwissenden Egoismus überantwortet, ist wie ein Tal, das im Finstern liegt; nur oben auf den Höhen liegt Helligkeit. Alle müssen in dem Dunkel leben, nur eines darf hinauf, das Licht schauen: das höchste, der Mensch.« Der Mensch hat den Impuls zu helfen. Wo er ihn nicht verspürt, ist er krank. Die Mönche empfahlen ein Rezept gegen die Todsünde Trägheit: Man solle sie auf einen gegenüberstehenden Stuhl platzieren und mit ihr in Dialog treten. Das klingt nach moderner Gestalttherapie. Würde ungemütlich werden für unsere Cindy aus Marzahn!
     
    Nach diesen Streifzügen durch unsere lasterhafte Gegenwart müssen wir mehrere Schlussfolgerungen ziehen. Die erste ist, dass Silvio Berlusconi für ein Klosterleben überhaupt nicht geeignet ist. Die zweite, dass wir anderen es auch nicht sind.
    Die Schlange mit ihren Todsünden denkt gar nicht daran, sich aus dem Staub zu machen. Ganz im Gegenteil. Sie hat es sich gemütlich gemacht in unserem Alltag und richtet größere Schäden an, als wir es uns vorstellen konnten – wenn nicht für unser individuelles Seelenheil, so doch für die Gesellschaft.
    Allerdings scheinen von Zeit zu Zeit, zumindest der katholischen Kirche, einige Auffrischungen und Spielanpassungen nötig. Statt der charakterlichen Todsünden verdammt sie nun nackte Tatsünden. An erster Stelle sieht sie den Konsum und Handel von Drogen. Es folgt – höchste Zeit – der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Außerdem im Sündenkatalog
der Moderne: Umweltverschmutzung, Abtreibung, Genmanipulation, Profitgier, die andere in die Armut treibt, exzessiver Reichtum. Bis auf die Sache mit der Abtreibung eine völlig unkontroverse Liste. Wer ist schon für Profitgier zu haben, die andere in die Armut treibt?
    Was aber machen mit denen, die sich schuldig gemacht haben? Wie überhaupt gehen wir mit der Sünde um? Wenn wir Geschöpfe Gottes sind, hat er nicht auch das Böse in uns geschaffen? Tut sich da nicht ein Engpass in unserer Freiheitserfahrung auf?
    Schuld bedeutet die Verletzung einer kosmischen Ur-Ordnung, wie sie sich in der Genesis-Erzählung vom Garten Eden spiegelt. Im Chaos nach der Vertreibung sollten religiöse Grundregeln Identität schaffen. Ihr Bruch, also die Sündenerfahrung, erzeugt Selbstzweifel, Angst, Scham. Die Psalmen sind voll davon.
    Mit der Menschwerdung Gottes in Jesus ändert sich die Lage. Im Römerbrief konzentriert sich Paulus ganz auf die Schuldfrage. Die neue Freiheit wird nicht mehr von der Gemeinschaft und der Tora gestiftet, sondern durch das vorbehaltlose Vertrauen in Jesus und seine Auferstehung. Sehr viel später wird der protestantische Existenzphilosoph Søren Kierkegaard diesen Gedanken aufnehmen. Aus der Verzweiflung über die Sünde und der Angst heraus hilft nur der »Sprung« zu Gott. Der Weg aus der Schuld läuft allein über tiefempfundene Reue. Selbst unsere Rechtsprechung mag darauf nicht verzichten, ein reuiger Angeklagter kann mit Strafmilderung rechnen. Wie viel mehr gilt das für das letzte Gericht!
    Die Protestanten bekennen ihre Schuld kollektiv, vor der ganzen Gemeinde. Für Katholiken bietet sich der Beichtstuhl als Ort göttlicher Vergebung an. Die Stille, das Holzgitter, das Murmeln des Priesters, der nach einigem Nachfragen – Präzision ist wichtig – sein »Ego te absolvo« spricht. »Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen«, sagte Jesus seinen Jüngern. Das alles in der Intimität der Ohrenbeichte, als persönliches Geheimnis, fernab vom Geständnistrubel bei Facebook.

    »Die Beichte«. Joyce’ Held Leopold Bloom lästert darüber in der Gottesdienstszene im Ulysses. »Jeder drängt danach. Dann will ich dir auch alles erzählen. Buße. Bestraf mich bitte … Und ich habe geschschschschschsch. Und hast du auch gechechechecheche … Dann kommt sie raus. Reue, hauttief. Entzückende Scham.«
    Allerdings, nach der Absolution ist vor der Absolution, Sündenfreiheit auf Dauer ist dem Menschen nicht möglich, deshalb wird weiterhin jeder etwas zu erzählen haben

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