Das katholische Abenteuer - eine Provokation
wurden.
Katholische Priester. Heutzutage beginnt das Spaßpublikum zu hyperventilieren, wenn es in einer Talkshow einen schwarzen Talar sieht und einen Mann, der zölibatär lebt. Die Debattenbeiträge zum Thema katholische Kirche sind eine geradezu beleidigende Unterforderung der Intelligenz, denn sie kreisen um die immer gleichen Reizthemen: Zölibat, Papst, Priester. Gleich drei Verstörungen, nämlich kein Sex, keine Demokratie, keine Gleichberechtigung. Völlig quer, der Haufen!
Übrigens auch quer zum kommerziellen Lauf der Welt. Sozialpolitisch sind Katholiken links. Der Papst schreibt mahnende Enzykliken oder Hirtenbriefe, als würde er einen Zwischenruf aufnehmen, der rund 200 Jahre alt ist: »Besteht nun die heutige Religion in der Geldwerdung Gottes oder in der Gottwerdung des Geldes?« Das ist von Heinrich Heine, doch in Wahrheit stammt die Verachtung des Mammons aus der Bergpredigt, und da weiß ich dann schon, dass mein Verein was richtig macht.
Ja, es gibt für einen debattenfreudigen Journalisten in diesen Tagen keine sportlichere Rolle als die des Katholiken, nicht erst seit den Missbrauchsskandalen, aber seit diesen besonders. Deshalb gleich vorweg: Wie jeder, der seine Tassen noch im Schrank hat und ein Gespür für Gut und Böse, bin ich empört über jeden einzelnen Fall, der geschehen ist, besonders aber über jeden Fall der versuchten Vertuschung seitens der Kirche. Aber ich bin auch empört über die 99,9 Prozent der Missbrauchsfälle, die sich außerhalb der katholischen Kirche ereignen. Noch einmal in Worten: Neunundneunzigkommaneun Prozent. Tatsächlich liegt der Anteil der Missbrauchstäter, die aus den Reihen der katholischen Kirche stammen, nach Angaben des Kriminologen Christian Pfeiffer gerade einmal bei 0,1 Prozent. Katholische Kirche ist so unendlich viel mehr als Missbrauch, doch die Kirchenkritiker drehen an diesem Punkt den Regler so weit hoch, dass alles andere ausgeblendet wird.
»Die katholische Kirche ist voller Päderasten«, rief Stern- Chefredakteur Hans-Ulrich Jörges, der mir in einer Talkshow gegenübersaß. Anschließend, die Sendung war vorüber und das Publikum weg, meinte er versöhnlich, er leide doch genauso wie ich unter dem schlechten Image der Kirche, weil sie die einzige Institution in unserer Gesellschaft sei, die sich noch für Werte zuständig fühle. Wo sollten die denn sonst herkommen, die Werte?
Aber, lieber Herr Jörges, zunächst mal ist die Kirche kein Pumpwerk für das Gute, wie es sich die Sozialingenieure so gern einbuchen in ihren Masterplänen für eine ethisch ausgelaugte Gesellschaft, sondern eine Glaubensgemeinschaft. Durchaus mit Werten, unter denen übrigens die Nächstenliebe und die Wahrheitsliebe weit oben stehen, aber auch so unbequeme Sachen wie Achtung vor dem Leben schon dem ungeborenen gegenüber und die Achtung vor Liebe und Treue, die durchaus Keuschheit bedeuten kann. Das sind lauter Verstörungen des gehobenen bürgerlichen Gourmet-Gewissens, lauter antibürgerliche Tumulte im behaglichen Alltag.
Der Katholizismus zielt auf die Gegenwelt. Ja, eigentlich sind wir die Sex Pistols unter den Konfessionen.
Ohne dass jetzt der Sex im Vordergrund steht.
Oder die Pistols.
Und wir machen nicht so einen Lärm.
Also, auch die Klamotten sind ein bisschen schöner.
Auf alle Fälle kann man es sicher bequemer haben als Publizist. Es gibt eine sprungbereite Feindseligkeit dem Katholizismus gegenüber aus dem Juste Milieu heraus. Er wird als großangelegte Spielverderberei in der Feier des Lebens betrachtet, wo er doch eine der fröhlichsten, der kunstsinnigsten und sinnenfreudigsten Religionen ist, die es gibt – wenn man die ästhetischen Avantgarde-Katastrophen für einen Moment außer Acht lässt, die seit dem Zweiten Vatikanum über Kirchen und Andachtsräume geschwappt sind und nur kahle protestantische Innenwelten hinterlassen haben.
Der Katholizismus hat eine ausdrucksfrohe, geheimnisvolle und formbewusste Tradition, und man müsste vom Hahn gehackt sein, da erneut die Abrissbirne anzulegen, wie es Heiner Geißler für sein nächstes Buch annonciert. Der Katholizismus ist eine 2000 Jahre alte Bastion. Ein Kulturspeicher, ein Gedächtnisspeicher der Menschheit. Ist sie fehlbar, die katholische Kirche? Und ob. Jesus hat seine Kirche auf fehlbare Menschen gebaut, auf Apostel, die ihn verkauft (Judas) und verraten haben (Petrus). Und doch hat sie die Zeiten überdauert. Und sie wird weiterdauern. Schon Lenin hat prophezeit:
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