Das katholische Abenteuer - eine Provokation
katholisch, wie ich vor vierzig Jahren Marxist war. Warum? Weil mein Verein angegriffen wird. Ohnehin halte ich reflexhaft zu denen, auf die eingedroschen wird. Darüber hinaus bedeutet Katholischsein einfach, ein spannendes Verhältnis zur Welt zu haben. Mein Katholizismus kennt keine ruhige Mittellage. Er besteht aus Zorn und Liebe, Glaube und Zweifel und bisweilen Verzweiflung über den eigenen Verein. Er ist auch die Religion der Schwärmer und Sünder, der gefallenen Geistlichen und aufopferungsvollen Heiligen, des Säuferpriesters bei Graham Greene und des Märtyrer-Landpfarrers von Georges Bernanos.
Mein Katholizismus ist übrigens nicht demokratisch. Er ist nicht konsensabhängig. Glaubenswahrheiten sind keine Abstimmungssache. Mein Katholizismus ist auf dunkle Art monarchistisch. Als Jesus von Pilatus gefragt wird: »Bist du der König der Juden?«, verweigert er stolz die Antwort. Er sagt: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt.« Das ist so anders, dass wir es gar nicht ermessen können.
Aber dann gibt es seine Botschaft, von der ich spüre, dass sie an mich gerichtet ist. Zum Beispiel das Gleichnis vom guten Hirten, der seine Herde zurücklässt, um das verlorene Schaf zu finden. Das ist die frohe Botschaft für uns Leute auf der Klippe. Katholizismus, der besonders, ist eine Religion für diejenigen, die hinfallen und aufstehen.
Meine Frau übrigens kann sich mit dem Gleichnis überhaupt nicht anfreunden. »Was ist mit den übrigen 99 Schafen? Die lässt der gute Hirte einfach im Stich, nur weil ein einziges sich in die Büsche schlagen musste?«
»Um die macht er sich keine Sorgen, weil sie es auch so schaffen. Gott liebt eben besonders diejenigen, die sich verirrt haben.«
»Und die anderen, die sich an die Vorschriften, an den geraden Weg halten, sind nichts wert?«
»Aber die hat er doch sicher, es kommt ihm auf das schwarze Schaf an.«
»Kein Wunder, dass du die Geschichte magst«, sagt sie.
Zum Katholischsein gehört außer der Zustimmung zum Credo (und ein bisschen Bekenntnismut für den Fall, dass man beim SPIEGEL arbeitet) nicht viel: Morgens und abends beten und bei Tisch, sonntags in die Messe, einmal im Jahr zur Beichte. Das kann doch nicht so schwer sein, Leute! Ach so, die Zehn Gebote einhalten wäre prima. Also Bohlen nicht mehr anbeten als den lieben Gott. Die Eltern respektieren und umsorgen, was zunehmend wichtiger wird in unserer alternden Gesellschaft. Nicht stehlen, nicht töten, aber das regelt ja schon das BGB. Und was das Lügen angeht, das wird im nächsten Kapitel gründlich entzaubert: So nützlich ist es nämlich gar nicht.
Ich habe das katholische Abenteuer in nahezu allen Erdteilen erfahren, über Priester und Gemeinden, die sich mutig dem Elend und den Gangstern in den brasilianischen Favelas entgegenstellen, über Franziskanerbrüder in New York, die den Armen zu essen geben, über Ordensleute in Thailand, die mit Reisbauern und Kellnern den Weihnachtsgottesdienst mit Krippenspiel feiern, über singende Nonnen in Goa an Mariä Himmelfahrt.
Lauter Menschen wie weiße Elefanten. Sie sprechen von Gott. Sie sind skandalöserweise nicht von Eigennutz getrieben, sondern von der Liebe zu den Menschen und von der Mission, die frohe Botschaft weiterzugeben. Und sie werden im öffentlichen Gerede behandelt wie Idioten oder Verbrecher. Zumindest bei uns. Christopher Hitchens schrieb über Mutter Teresa ein Buch mit dem gehässigen Titel Die Missionarsstellung. Das ist
so in etwa das Schwachsinns-Kichern, mit dem Nächstenliebe und Frömmigkeit heutzutage zu rechnen haben.
Dabei geschieht nicht nur in Kalkutta im Namen der Kirche viel Gutes, sondern auch bei uns, in den Schulen, in den Krankenhäusern, in den Pflegeheimen, ganze gesellschaftliche Räume würden ohne die Kirchen veröden, den Einsamen, den Schwachen und Vergessenen kämen der Trost und das Mitgefühl abhanden. Früher habe ich Heilige und Drachentöter bewundert, heute bin ich stolz auf diese stillen Glaubenshelden.
Und es gab auch die anderen, immer schon, die für ihren Glauben und das, was sie für richtig hielten, in den Tod gingen, nicht nur unter römischen Soldaten, auch in der Neuzeit. Katholische Bekenner wie den Journalisten Fritz Gerlach, der von den Nazis erschossen wurde. Oder die Lübecker Märtyrer, die im Sommer 2011 seliggesprochen werden. Drei junge Kapläne, die mit einem protestantischen Pfarrer wegen »Zersetzung der Wehrkraft« am 10. November 1943 von den Nazis enthauptet
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