Das katholische Abenteuer - eine Provokation
und einen Grund, sein Gewissen zu entlasten, und wenn es nicht Gott ist, dann ist es die Gemeinschaft, die den Einzelnen zwischen Ehre und Scham stellt. Analytisch gesprochen ist das Gewissen das Über-Ich, das die zerstörerischen Triebimpulse auf ein sozial verträgliches Maß bändigt. Doch das Böse kämpft immer wieder neu um Geltung. In diesem Doppel aus Auflehnung und Reglementierung sind wir alle gefangen seit der Vertreibung aus dem Paradies, Sünde und Vergebung tanzen insbesondere in der Mediengesellschaft einen nicht unspektakulären Tango.
Die Sünde kann mit beträchtlicher Aufmerksamkeit rechnen. Und die öffentliche Beichte erst recht. Hier ein paar derjenigen, die jüngst Verfehlungen, Schwächen, Verschwiegenes öffentlich gebeichtet haben: David Letterman (Ehebruch), Tiger Woods (Ehebruch), der britische Ex-Vizepremier John Prescott (Bulimie), der »Bulle« Ottfried Fischer (Sex mit Prostituierten), Brigitte Nielsen und Kiefer Sutherland (Alkoholsucht) – dazu rund 50 000 Einträge, die Google bei der Wortkombination »öffentliche Beichte« ausspuckt.
Man sollte sich nicht täuschen lassen, die Sünde ist selbstverständlich weitaus spektakulärer als die Tugend, besonders in katholischen Gegenden. Als die Sambaschule »Viradouro« beim Karneval in Rio de Janeiro mit den sieben Todsünden durch die Avenida defilierte, rasten die entzückten Sambistas. Besonders der Wagen der Wollust wurde frenetisch gefeiert mit all den Extraladungen an nackten Tänzerinnen in lasziven Posen. Als im Jahr darauf die Sambaschule »Mangueira« mit den »Zehn
Geboten« zum Gegenschlag ausholte, war man überrascht, mit wie vielen Goldbikinis auch die mosaischen Gesetzestafeln zum Leben erweckt werden konnten.
Wie aber steht es um das Höllenfeuer, in dem die schweren Sünder auf ewig verdammt sind? »Die Hölle gibt es, aber sie ist leer«, soll Hans Urs von Balthasar, ein markanter katholischer Denker, gesagt haben. Die Sünder können mit der verzeihenden, mit der alldurchdringenden Liebe Gottes rechnen. Die Theologie spricht von der »Apokatastasis« am Ende aller Tage, wenn Gott die Welt wieder in ihren sündenfreien Urzustand versetzt. Das ist der Moment der Allversöhnung, auf den sie hoffen können.
Einstweilen werden wir wohl mit der Hölle vorliebnehmen müssen, die wir uns selber bereiten.
Das katholische Abenteuer
Ein Bekenntnis
Man wird nach dieser Buß- und Strafpredigt eines unschwer erkennen können: Ich bin katholisch, und das ist auch gut so. Ich habe mir die Sache nicht ausgesucht. Sie ist mir in mein Gemüt gelegt, von Kindheit an, so sehr, dass sie mir vorkommt wie angeboren. Eine Veranlagung. Vielleicht ist sie das auch. Tief in mir verwurzelt.
Für dieses Bekenntnis den gleichen Beifall zu kassieren wie, sagen wir, Berlins Party-Bürgermeister Klaus Wowereit, aka »der Wowi«, für das seiner sexuellen Orientierung, erwarte ich gar nicht – aber ich will ja auch keine Wahlen gewinnen. Katholizismus, ganz besonders in diesen Tagen, ist nicht mehrheitsfähig. Er ist nicht in Partylaune. Er ist im Verteidigungsmodus. Begeben wir Katholiken uns auf den Marktplatz, müssen wir zickzack rennen, denn es wird aus allen Rohren gefeuert. Doch natürlich bleibe ich katholisch. Geht gar nicht anders. Jetzt erst recht.
Die bequemere der christlichen Konfessionen ist derzeit eindeutig die protestantische. Ihre Bekenntnisse tropfen ins gesellschaftliche Gewebe in homöopathischen und jederzeit gut verträglichen Verdünnungen, ihre Pastoren sind wie alle, sie lassen sich scheiden, sie leben in schwulen Lebensgemeinschaften, sie fahren ab und zu betrunken Auto, nichts, was irgendeinen groß aufregen würde, im Gegenteil, sie werden geliebt dafür, dass sie sind wie alle. Ach was, sie werden wegen ihrer allzu menschlichen Schwächen sogar für Preise vorgeschlagen. Man kann sich in ihnen wiedererkennen. Sie holen die Menschen da ab, wo sie sind, wie man so sagt.
Und passiert mal so was wie diese dumme mutmaßliche Vergewaltigung in der Hamburger St. Petri-Kirche durch einen
Pfarrer nach einer Feier spätnachts in der Kirchenbank, dann … beten die Gläubigen für ihren Pastor. »Herr gib uns die Kraft zu verzeihen«, titelte die Hamburger Morgenpost. Die Öffentlichkeit nimmt bei denen irgendwie anders Anteil. Bei uns ist das schwieriger. Uns wird die Mitgliedschaft als solche um die Ohren gehauen.
Ich bin kein Vorzeige-Katholik, aber dennoch bin ich seit neuestem so leidenschaftlich
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