Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Verbindlichkeit, die Verantwortlichkeit. Sicher sind die kleinen Netzwerke des Religionskonsums Signale, sie zeigen in diesem Markt, der bis hin zur Esoterik reicht, dass man in diesem Materialismus und Konsumismus und Naturalismus doch nicht zufrieden ist. Aber in konsumistischer Manier zieht man sich dann doch noch was Religiöses rein. Der Unterschied zur Institution der katholischen Kirche besteht in der Verantwortung, von organisiertem Permanentem. Ich wünsch mir auf jeden Fall nicht, dass diese Institution aufgesogen wird von den konsumistischen Tendenzen, die es in der religiösen Sphäre gibt.
MATUSSEK: Sie machen in Ihrem Essay darauf aufmerksam, dass auch der moderne aufgeklärte Staat ohne religiöse Letztbegründung nicht auskommt. Zum Beispiel wenn gesagt wird: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Da wird inmitten des Gesetzes ein heiliges Tabu geschaffen.
SAFRANSKI: Wobei das Interessante ist, dass der Grundrechte-Katalog auch die Formulierung »In der Verantwortung vor Gott« kennt. Da wird einerseits etwas hingestellt, das durch Mehrheit geschaffen wurde, andererseits wird aber klargemacht, dass es durch keine Mehrheit abzuschaffen ist. Mit demokratischem Verfahren wird etwas geschaffen, von dem man dann gegen das demokratische Prinzip sagt, das darf nicht mehr außer Kraft gesetzt werden. Das ist die Schaffung eines Tabus.
Man bezieht sich auf einen Zivilgott, um ansonsten ziemlich säkularen Werten, die aber human und wichtig sind, ein stabileres Fundament zu geben. An den Zivilgott brauchst du jetzt erst mal nicht zu glauben. Da sagst du erst mal, ja, bestimmte Scheußlichkeiten dürfen erst mal nicht geschehen, wir müssen das auch verbieten im Namen einer moralischen Ordnung, die noch eine andere Dimension hat. Vorher, als wir über die anderen Aspekte des Religiösen gesprochen haben, da ging es nicht nur um Moral, sondern da ging’s um ein anderes Lebensgefühl, um eine andere Sinnerfahrung. Und das sind zwei deutlich unterschiedene Dimensionen des Religiösen.
Also wenn wir von kalter Religion sprechen, wie ich das getan habe mit der Zivilreligion, dann ist dieser moralische Gesichtspunkt angesprochen, der dann noch dieses Fundament hat, das ganz gut ist. Aber für die sonstigen Sinnbedürfnisse ist anderes zuständig. Umgekehrt steckt in der Religion dann doch noch ’ne ganz Menge mehr drin, als zivilreligiös notwendig ist. Es steckt ein Sinn darin.
Es ist so, man kann an das Sinnangebot von Religion von innen rangehen und von außen. Von außen rangehen wird ja auch schon gemacht, wird man sagen, Religion muss es geben, das ist eine Sinnbeschaffungsmaßnahme, eine Sinnproduktion. Die einen produzieren Strümpfe, die anderen produzieren Sinn. Dann ist auf einmal Religion wie Bücher und Literatur und Event.
MATUSSEK: Ja, das wäre eine weitere Zuschreibung für Religion. Eine Notwendigkeit fürs Soziale. Kitt für die Gesellschaft. Dass die Kirche in diesen Skandal verwickelt ist, finden manche deshalb schlimm, weil sie doch die Gesellschaft mit Sinn versorgen muss.
SAFRANSKI: Ja, Sie können es auch nicht vermeiden, es von außen so zu sehen. Von innen stellt es sich anders dar. Da sagst du nicht, wir produzieren Sinn, wir machen Angebote, so wie die protestantische Kirche Sozialangebote macht und Sinn herstellt, dieser Außengesichtspunkt wird dann verinnerlicht.
Von innen her würde man doch nie sagen, wir bieten Sinn an, sondern wir erinnern die Menschen, dass sie teilhaben können an einem Sinn, den wir nicht produziert haben, sondern den es gibt, offenbarungsmäßig gibt. Es kommt also drauf an, von welcher Seite aus wir jetzt reden.
Wichtig ist auf jeden Fall, dass die Kirchen ihrer Sichtweise treu bleiben und nicht anfangen wie die Werbeträger sich selbst so zu beschreiben, wie sie von außen beschrieben werden wollen. Sie können aus dem Glauben reden oder über den Glauben reden. Und viele Vertreter der Religion, im Protestantismus noch stärker als im Katholizismus, reden über den Glauben statt aus dem Glauben. Da kommt es dann zu solchen Formulierungen wie »Wir sind Sinnanbieter«. Da stehen sie dann aber auch auf einer Stufe mit anderen »Sinnanbietern«.
MATUSSEK: Zum Schluss die Gretchenfrage. Wie halten Sie’s mit der Religion? Glauben Sie an Gott?
SAFRANSKI: Ich glaube nicht an einen personalen Gott, als ein Gegenüber, ich glaube aber, dass das Ganze in einem göttlichen Prinzip wurzelt. Wie wir’s halt nennen wollen.
MATUSSEK: »Wer darf ihn
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