Das katholische Abenteuer - eine Provokation
katholische Kirche in Ruhe lassen, sollen protestantisch werden oder heidnisch.
SAFRANSKI: Ja, ich bin ja auch kein Katholik, ich begleite meine Frau manchmal in München in die Theatinerkirche, wo auch die tridentinische Messe gelesen wird. Aber gerade von außen sage ich – und das gilt ja auch beim Zölibat –, ich fände es wunderbar, wenn die Kirche ihre unverwechselbare Gestalt behält, das ist eine Bereicherung für die ganze Gesellschaft und für uns Außenstehende auch.
Von André Heller gibt es dieses schöne Lied »Ich will, dass es gibt, was es gibt«. Es war mal ein Lieblingslied von mir. Ich will, dass es diese Kirche gibt, stolz und unangepasst, und nicht wie die Protestanten immer zu Kreuze kriechen, nein, ich will sie als stolze Institution, die ja ein paar Fehler schon abgelegt hat, die aber ihre Identität bewahrt. Das ist auch für die Restgesellschaft das Beste, was geschehen kann.
MATUSSEK: Richard Dawkins und Christopher Hitchens wollten den Papst verhaften lassen während seines Besuches in England, wegen Verdunkelung von Straftaten im Zusammenhang mit den sexuellen Missbrauchsfällen innerhalb der Kirche. Unter großem Gejohle der Presse. Ist die Vermutung abwegig, dass sich der Kulturkampf des 19. Jahrhunderts wiederholt? Damals ging es ja auch um den Zölibat und um die Beichte, um eine Art Misstrauen gegen das katholische Getuschel, das man durch liberale Aufklärung und Aufhellung beenden wollte. Auch die sogenannte Frauenfeindlichkeit war ein Thema. Sehen Sie Parallelen?
SAFRANSKI: Na ja, es ist ja so, die katholische Kirche ragt in unsere Zeit hinein als die große, immer noch mächtige übernationale Institution mit 2000 Jahren auf dem Buckel, das ist auch Stein gewordene Metaphysik. Sie steht im Zweifelsfalle auch in Idealkonkurrenz zu anderen internationalen Organisationen
und Institutionen, UNO oder Rotes Kreuz oder so was, die alle ganz säkular sind. Und diese Kirche ist für einen Zeitgeist, der nicht den langen historischen Atem hat, der nicht liebt, was alt ist, sondern nur, was neu ist, einfach störend.
Dass da untergründig so etwas wie ein Kulturkampf verhandelt wird, dem würde ich zustimmen. Das ist da drin. Es ist auch mit drin, dass der Atheismus abrechnen will mit so einem Überbleibsel. Dahinter steht schon auch der Wunsch, die Dinge weiter zu planieren. Und da hat man jetzt mit dem Missbrauch einfach ein gefundenes Fressen.
Fachleute sagen, die größte Stätte des Missbrauchs sind die Familien. Da müsste man doch jetzt mit Volldampf durchforsten und ermitteln, auch die Sportvereine oder liberalen Internate, aber nein, genüsslich breitet man das über der Kirche aus, und das kann kein Zufall sein.
MATUSSEK: Es geht ja auch direkt gegen den Papst, gegen den Heiligen Vater. Ist diese Debatte vielleicht auch zusätzlich noch ein Aufstand gegen den Vater? Nachdem die 68er ja die Väter auf breiter Front abgeräumt haben, ist da noch einer übrig, der in der Landschaft steht. The last man standing, sozusagen. SAFRANSKI: Daran habe ich noch gar nicht gedacht, aber der Gedanke scheint mir ganz plausibel, das ist ein Triumph der vaterlosen Gesellschaft. Wobei, ich meine, wenn man das aus Distanz betrachtet, der Heilige Vater, und wenn er dann noch im Rock auftritt, dann die Gewänder und die roten Schuhe, das ist sozusagen das dritte Geschlecht.
MATUSSEK: Noch einmal zum religiösen Bedürfnis zurück, von dem Sie sagen, es wird heute ganz individuell im religiösen Hobbykeller befriedigt, das ist offenbar der Stand. Die großen Kirchen bluten aus. Aber brauchen wir nicht vielleicht doch eine organisierte Kirche, mit Gemeinschaftserlebnissen?
SAFRANSKI: Die Gemeinschaftserlebnisse haben Sie ja auch in kleineren Gemeinschaften. Das religiöse Phänomen ist immer gemeinschaftsbildend. Aber es gibt diesen Ärger gegen die Kirche
auch aus diesen neureligiösen, privatisierten Formen, da erscheint dann die katholische Kirche wie ein Monopolist. Die Kleinunternehmen schauen auf das Großunternehmen, dieser Blickwinkel ist auch da.
Das Zweite ist: Was die institutionalisierte Kirche jetzt unterscheidet von diesen neureligiösen, flackernden vielfältigen hobbykellerartigen Bewegungen, ist, dass dort eher doch das Modell des Religionskonsumismus bedient wird, sozusagen das religiöse Fast Food. Diese Einwanderung des Konsumprinzips in das Prinzip Religion ist interessant.
Doch die Kirche steht für was anderes. Da ist ein ganzes Leben, die Dauer, die Institution, die
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