Das katholische Abenteuer - eine Provokation
der Psychologen verfalle.
Gerade das aber will ich nicht hören in der Kirche, entgegnete ich heftig. Ich will nicht Käßmanns formvollendete Besinnlichkeiten über die Mitte ihres prominenten Pastorinnenlebens hören oder ihre Ansicht über den Krieg in Afghanistan, weil ich nicht die Magazin-Titel aus dem Kopf kriege, auf denen sie sich darüber beklagt, dass sie ständig Gegenstand von Illustriertentiteln ist. Ich will das Wort Gottes in all der nicht abgenutzten Fremdheit. Ich will die Streckung nach oben, die Anstrengung in ein Geheimnis und ein Glück, das ich womöglich nicht ganz verstehen kann, sondern nur ahnen. Der Himmel soll sich, verdammt noch mal, auftun für mich, wenn ich in der Kirche bin.
»Nichts gegen Käßmann, die bringt immerhin die Frauen wieder in die Kirche«, sagte Schlink überraschend lau.
»Also bei uns sind es in der Mehrzahl sowieso Frauen, die den Gottesdienst besuchen. Ältere Frauen.«
»Sehen Sie«, sagte Schlink.
»Nein, nein, auch jüngere, Ehefrauen und Mütter mit ihren Kindern«, ergänzte ich. »Im Übrigen, so taufrisch sind wir beide ja auch nicht mehr.«
Eine Woche nach unserem Gespräch erhielt ich Post von Schlink. Er hatte mir eines seiner Bücher geschickt mit Aufsätzen. In einigen davon denkt er über die Wichtigkeit von Ritualen und liturgischen Formen nach. Es ist das Buch eines Protestanten, aber die Sehnsucht darin ist katholisch. Es ist eine Sehnsucht nach tradierter Gestalt, die auf Beständigkeit, ja Ewigkeit zielt. Ein weiterer Aufsatz, eine Predigt über Pfingsten, beschwört die Kirche als Gemeinschaft. Er beschreibt darin die Schönheit einer Erfahrung, die er genau so immer wieder gemacht habe. »Aber ich weiß, dass ich immer, wenn ich an einen anderen Ort kam und dort in den Gottesdienst ging, das Gefühl hatte, ich komme in gewisser Weise nach Hause, gleichgültig ob in Deutschland oder im Ausland.«
Wie sehr gilt das auch für mich als Reporter und Korrespondent in allen möglichen Kontinenten. Da ist die Erinnerung an diese schöne Maria-Himmelfahrts-Messe in Goa mit den Chören der Gläubigen, und durch die geöffnete Kirchentür fiel das Licht, und der Gesang schwebte über die Reisfelder und die Palmenhaine hinter der Kirche. Die einfache Bretterbuden-Kirche bei den Gummipflanzern im Amzonas, die das gleiche Sanctus sangen wie die Slowenen in der Zürcher Liebfrauenkirche mit ihren roten Gesichtern und den schlechten Dauerwellen und der Predigt dieses alten Priesters, die ich nicht verstand, dessen Miene aber ernst vom Realismus eines harten Lebens war und die Stimme voller Mitgefühl und Wärme. Die Messe in der dunkel getäfelten Kathedrale von Bogotá oder die in unserer kleinen Kirche in Rio de Janeiro, hoch über der Favela, mit der alten Schwester Lucia, die meinen Sohn und die übrigen Ministranten an den Altar geführt hatte.
In all den Messen, in all den Kirchen wurde das »Vater unser« gebetet, kniete man zur Wandlung, empfing man das
Sakrament der Kommunion. Unterschiede gab es in den Predigten. Verglichen mit den politischen Donnerbeschwörungen und ekstatischen Heilsbekundungen, die ich bei den Baptisten in Harlem erlebt habe, oder mit den tränenreichen und dem Elend trotzenden Strafpredigten, die ich in unserer katholischen Gemeinde in Rio gehört habe, sind unsere Kanzelvorträge hierzulande doch oft sehr entkräftet. Sie trauen sich nicht, von Gott zu sprechen, und auch nicht von Sünde und von Gnade und von Wiederauferstehung. Sie trauen dem religiösen Drama nicht. Hier ist oft alles nach innen gerichtet, alles wohltemperiert, alles Sozialstation.
Für uns Katholiken ist die Liturgie der Ausweg aus dem Alltäglichen, die Tür ins Heilige. Die Liturgie als großer Zeitspeicher. Wenn es eine Gegenwelt gibt, dann ersteht sie, erstrahlt sie in diesen heiligen Verrichtungen. Hier wird der Glaube der Kirche gefeiert in überkommenen Handreichungen von weither. Die Liturgie und ihr zentrales Element, das Opfer, das auch die Erinnerung an das Pascha-Mysterium ist und die Selbstmitteilung Gottes.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Zweite Vatikanische Konzil die Kirchen in Deutschland bis zu einem gewissen Grade entzaubert hat und die Gottesdienste formlos werden ließ. Ein Bildersturm fegte durch die Gotteshäuser, die Hochaltäre wurden zerlegt, buchstäblich zersägt. Ein Kollege erzählte mir, wie der Hochaltar seiner kleinen Gemeinde auf den Dorfanger verfrachtet wurde. »Partizipation« hieß das neue
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