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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Zauberwort, der Altartisch wanderte in die Mitte, der Tabernakel mit dem Allerheiligsten an die Seite, und in die Gotteshäuser hielt eine grauenhafte Avantgarde Einzug, die von steriler und schnell gestriger Modernität war. In seiner so stimmigen Polemik zur Häresie der Formlosigkeit zitiert Martin Mosebach einen Funktionär der Katholischen Akademie Mainz, der sagte: »Wer einen Kreuzweg auf Anhieb schön findet, ist nicht auf Golgotha, sondern in einem Schrebergarten gelandet.« Die Lösung für ihn? Eine abstrakte Installation aus rostigen Coladosen!

    Seither gibt man sich Mühe, das Leiden Christi in einen ästhetischen Brutalismus umzusetzen, der die geistloseste und eigentlich spießbürgerlichste Variante des Mitleidens ist. Des Weiteren haben Bastelarbeiten die entrümpelten Kirchenhäuser erobert. Alles, was Kindern in ihren Krabbelgruppen zu den Evangelien oder zur Passion einfällt, wird da aufgehängt. Sympathisch, innig, ohne Zweifel, aber bisweilen auch so nervtötend, wie Kinder nun mal sein können.
    Unsere Kirche in Hamburg ist schmucklos. Erbaut 1926, in der Nazizeit unter verschärfte Beobachtung gestellt, ein Pfarrer wurde inhaftiert. Sie war wohl nie prachtvoll, Hamburg ist katholische Diaspora. In den 60ern wanderte das hohe Altarbild mit der Kreuzigungsszene erst in den Fundus, dann an eine Seitenwand. Das Taufbecken wurde 1973 vom neu bestallten Pfarrer als Vogeltränke im Garten aufgestellt. Es gibt ein neues im Altarraum, das dem schweren dreiflügeligen Bronzerelief mit Bibelszenen, Passion und Auferstehung angepasst ist. Unser Pfarrer strahlt einen schönen Ernst aus, eine nüchterne Würde, die zur kargen, ja fast protestantischen Strenge des Gotteshauses passt.
    Die Gemeinde hat knapp 6000 Mitglieder, ein Drittel davon sind Ausländer aus insgesamt neunzig Ländern. Sonntagmittags versammelt sich die englischsprachige Vielvölkerfamilie, am frühen Abend gibt es einen Gottesdienst auf Spanisch, und spürbar weisen die Messen Temperaturunterschiede auf. Doch immer ist es eine Gegenwelt, die man mit anderen gemeinsam betritt. Was mag eine zunehmend kirchenfeindliche oder religiös interesselose Umgebung denken, wie mag es wirken, wenn da sonntags Dutzende von Männern und Frauen an der albanischen Bettlerin auf den Kirchenstufen vorbei hinter der schweren Eichentür verschwinden? Eine Verschwörung, eine Agitationsstunde für Sonderlinge, für schwer einzugliedernde Idioten?

    Die Letzten eilen in einen hohen, meist kühlen, meist nur spärlich erleuchteten Raum, in dem bereits über hundert andere Menschen schweigend sitzen oder knien und nach vorn schauen, auf den Altar, auf das Kreuz, das ewige Licht in seiner roten Glasschale! Merkwürdige Empfindungen, merkwürdige Verrichtungen. Das Eintauchen der Fingerspitzen in das Weihwasserbecken. Das Kreuzzeichen. Das Niederknien. Die Stille, die vor allem.
    Die Stille ist an manchen Tagen so überwältigend und kaum erträglich in diesen Minuten vor Messebeginn, an manchen anderen Tagen eine unendliche Erholung. In diese Stille muss ich hinein, damit etwas auftauchen kann, das den Rest der Woche runtergehämmert, abgeflacht, verdrängt und unter Terminen und Geschäftigkeiten begraben wurde.
    Wie sehr Stille ängstigen kann, habe ich auf einem Vipassana-Meditations-Retreat in der Schweiz erlebt. Dort gab es 14 Tage lang nichts als Sitzen und Gehen und Essen und Schlafen. Und Schweigen. Und Atmen. Sich auf den Atem konzentrieren. Alle Sensationen des Körpers, alle Reizungen der Sinne einfach geschehen lassen und beobachten, und schweigen. Die Stille wächst.
    In der Stille steigen Erinnerungen herauf und Pläne. In der Stille wuchern Vorstellungen und Gedanken und Empfindungen. Kopftheater, ständige Bewegung, der Geist will nach vorne oder zurück, er will nie hier sein, und ist es auch noch so schön wie damals mit Bergen, Sonne, Alm. Das Jetzt hält der Geist offenbar für ein Gefängnis, da will er raus. Der Geist ist wie ein junger Welpe, der immer wieder ausbüchst. Man muss ihn behutsam am Nacken packen und zurücksetzen. Trainieren. Bis er bleibt.
    Das Meditieren ist eine hilfreiche Praxis. Aber es ist eben nichts als das, eine Praxis, eine Technik. Die meditative Andachtsstille in der Kirche ist von anderer Art. Sie ist erfüllt. In ihr öffnen sich das Herz und das Ich, das tyrannische, aufgeblähte, ständig organisierende und arrangierende und befehlende
Ich wird klein. Es macht Platz für denjenigen, den wir uns ganz oben

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