Das katholische Abenteuer - eine Provokation
vorstellen. Wenn es klappt.
Oft klappt es nicht. Oft bin ich taubes Holz. Ist es ein Trost, dass es auch Mutter Teresa so ergangen ist, die in ihr Tagebuch schrieb: »Tief in meinem Innersten ist nur Leere und Dunkelheit. Ich habe keinen Glauben.«? Und dennoch seliggesprochen worden ist! Nein, ein Trost ist es bestimmt nicht, eher ein Erschrecken und gleichzeitig die Bewunderung für die schonungslose Offenheit, für diesen Mut zur Selbstbegegnung dieser kleinen, helfenden Titanin der Nächstenliebe.
Wie oft sitze ich da, knie nieder und fechte in Gedanken noch einmal einen Streit aus, den ich diesmal gewinne, ärgere mich noch einmal über eine Demütigung, zahle heim, feile an einer Formulierung aus einem Text, an dem ich sitze. Doch dann werde ich zurückgeholt, durch ein Lied, durch ein Amen, durch eine bestimmte Fürbitte.
Was für eine erhabene und wohlkomponierte Aufführung die Messe ist, selbst in einer schmucklosen Kirche wie der unseren. Natürlich ist der Spektakelwert in Rom ein anderer, und natürlich bin ich als ehemaliger Theaterkritiker nicht unempfänglich dafür, wenn im Petersdom zur Synode die Bischöfe aus allen Teilen der Welt in ihren Mitren und Brokatgewändern durchs Mittelschiff schreiten, an marmorerstarrten Kardinälen und Päpsten und Heiligen vorbei, hinter ihnen die Ministranten und schließlich der Papst mit dem Hirtenstab, alt, freundlich, zerbrechlich, das Schauspiel von 2000 Jahren Geschichte unter dieser gewaltigen Kuppelkulisse, mit Chören die von oben und aus allen Richtungen zu kommen scheinen, hin zum Baldachin-Altar: Das ist die große Oper Gottes, das Festspiel des Heiligen Geistes, der im goldenen Strahlenkranz als Taube über dem Altar erscheint.
Aber das ist auch Rom. Während meine Gemeinde in der Hamburger Diaspora liegt. Doch die Liturgie ist die gleiche. Sie beginnt mit dem Schuldbekenntnis und dem »Kyrie«. Die erste Lesung meist aus dem Alten Testament, eine Einstimmung aus der Wurzel, Prophetentexte, Warnungen und Mahnungen, Wüstensprache, in der von Kriegen erzählt wird und wundersamen Errettungen und Königen und unmittelbaren Eingriffen Gottes und den Hoffnungen für das Volk Israel. Die zweite Lesung meistens ein Brief, meistens von Paulus, diesem glühenden Agitator und Organisator, der seine Gemeinden bereist und sie zusammenhält, völlig durchdrungen von dem Gefühl, dass die letzten Tage angebrochen sind. War Paulus Epileptiker, war er ein halb Wahnsinniger? Er ist in seinen Briefen pädagogisch und belehrend und liebevoll, manchmal zornig, manchmal niedergeschlagen, was für ein Ausnahmemensch, was für eine Gründerfigur! Und schließlich das Evangelium, dieser unendlich tiefe und farbige Episodenroman aus dem Leben Jesu, mit seinen Gleichnissen, die oft paradox sind und verblüffend und verklausuliert. Der Mann ist ja ein Ärgernis für alle, für die Pharisäer, für die Priester, für seine Jünger immer wieder, er ist barsch zu seiner Mutter (»Weib, was habe ich mit dir zu schaffen«), er ist eigensinnig schon als Junge, der in den Tempel ausbüchst (»Ja wusstet ihr nicht, das ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?«) – ein Familientyp ist er nicht.
Ich sehe den Jesus aus dem Matthäus-Film von Pasolini vor mir, der durch Galiläa wandert, gefolgt von seinen Jüngern, einen Schritt hinter ihm und mehrere Schritte dümmer und so begriffsstutzig wie ich selber, wie alle, die ihn begreifen wollen. Was für eine geniale Plot-Konstruktion gerade darin liegt, dass unsere Begriffsstutzigkeit durch die Jünger repräsentiert wird?!
Aber seine Botschaft ist auch wirklich bisweilen schwer zu enträtseln. Wie soll diese Geschichte vom untreuen Verwalter verstanden werden, den Jesus auch noch lobt? Ein bizarr unmoralischer Gangster-Film ist das. Da ist der Verwalter, der den Besitz seines Herrn verschleudert hat und seiner Kündigung
entgegensieht. Er macht noch einmal die Runde bei den Schuldnern und erlässt ihnen beträchtliche Teile, damit er später, stellungslos und vielleicht mittellos, auf ihre Hilfe rechnen kann. Ein klarer Fall von Untreue und Wirtschaftsbetrug, und hier geht es nicht um 1,30 Euro Pfandgeld. Und der Herr? Lobt ihn wegen seiner »Klugheit«, die man doch mit Fug und Recht als »Gerissenheit« bezeichnen kann. Denn, so sagt er, »die Kinder dieser Welt sind untereinander klüger als die Kinder des Lichts«. Er präzisiert das noch: »Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu
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