Das katholische Abenteuer - eine Provokation
»besonderen Schutz und Förderung der Familie« will. Dass Dyba, nebenbei, die Familienpolitik auch der Kohl-Regierung für ein Desaster hält, verschweigt er nicht. »Früher hatte eine Familie vier Kinder, heute hat ein Kind vier Väter — eine Katastrophe.«
Kritisiert wird Dyba meist von Kirchenfernen nach dem Motto: Erstens hat es Jesus nie gegeben, und zweitens hat er das so nicht gewollt. Doch während andere Kirchenleute in diesen Fragen lieber nuscheln, um den kirchenfernen Mainstream nicht zu verschrecken, pflegt der Bischof nun mal zu seinem Verein zu stehen, laut, manchmal eitel und bisweilen durchaus begabt zur Gemeinheit.
Nun also Moral in Christiansens Talkrunde. Doch noch ehe Dyba diesmal loslegen konnte, hatte SPD-Däubler-Gmelin dem CSU-Waigel »Heuchelei« vorgeworfen, und in der anschließenden Balgerei war Dyba komplett abgemeldet. Tagelang ärgerte
er sich darüber. Erwog nachträgliche Navigationsmanöver, Polemiken. »Ich hätte natürlich sagen können: dass der Waigel ein Heuchler ist, das wissen wir doch«, reminisziert der Bischof sarkastisch, »und dann hätten wir endlich zur Sache reden können. « Seine Sache: der Glaube. Eine Gesellschaft ohne Glauben ist eine Gesellschaft ohne Moral. Punkt. Eine wunderbare Gelegenheit, das in die Wohnstuben zu hämmern. Eine Gelegenheit, die ungenutzt verstrich. Und das wurmt ihn.
Allerdings: Wenn Däubler-Gmelin und Waigel sich beharken, ist das wohl geistesabgewandter als jeder germanische Feuerzauber – selbst der wortgewaltige Bonifatius, Apostel der Deutschen, hätte hier wohl versagt.
Zwei Tage später, im Konferenzsaal der barocken Bischofsresidenz, räumt er sich die Angelegenheit mit lässigem Spott von der Seele. Um sich zusätzlich aufzumöbeln, zieht er eine Flasche »Aha«-Rum aus einer Fensternische und würzt seinen Tee, hemdsärmelig und völlig unbeeindruckt von den Heiligen an den Purpurwänden, die ringsherum auf nachgedunkelten Ölgemälden in stiller Verzückung und heiliger Agonie Beispiele gottesfürchtigen Lebens und Sterbens geben.
An der Längsseite, dem Thronsessel gegenüber, eine weiße Marmorbüste Pius’ X. Die stammt von seinem Vorgänger. Seine Wahl des Jahrhundert-Papstes? Pius XII. Oder vielleicht doch Johannes Paul II., der »nur in Deutschland verkannt wird«. Dyba, schon in jungen Jahren an den Vatikan berufen, hat unter vielen gedient, und »allen war ich nah«.
Prunk und Andacht ist in diesem Raum, in dem sich über hundert Jahre lang die Deutsche Bischofskonferenz versammelte, Kunstsinn und Dogma, Raffinesse und Demut, diese spezifisch katholische Aura eben, und Dyba verkörpert all das so souverän, dass er es sich leisten kann, leicht daneben zu stehen. Seine Signatur ist die Hemdsärmeligkeit, unverkennbar berlinisch.
Er stammt aus dem Norden Berlins und hat »schon mit fünf begriffen, dass die Nazis Verbrecher sind«. Sein Vater,
ein glühender Katholik, flog aus dem Schuldienst. Johannes Dyba wurde mit Bibel und Heiligenlegenden groß, war selbstverständlich Ministrant. Nach dem Kriege kam er als »young political hopeful« in die Staaten, studierte an der Duke University und verbrachte dort das »wahrscheinlich sorgloseste Jahr meines Lebens«.
Dyba, ein Shooting Star und Aktivist. Er war unter den Mitbegründern des RCDS und legte 1954 in Heidelberg seine Promotion ab – »Der Einfluß des Krieges auf völkerrechtliche Verträge«. Ein Jahr später entschied er sich, Priester zu werden. »Zunächst war es eine intellektuelle Entscheidung.« Er war einer jener brillanten jungen Intellektuellen, die der Vatikan an sich zieht – er trat dem diplomatischen Dienst der Kurie bei, übernahm die Nuntiaturen in Argentinien, Zaire, Kairo.
In den 70er Jahren wurde er in die päpstliche Kommission »Justitia et Pax« berufen, bevor er wieder nach außen geschickt wurde – als Pronuntius von Liberia und Gambia, und als Apostolischer Delegat in Guinea und Sierra Leone. 1983 trat er sein Bischofsamt in Fulda an.
Ganz sicher sind es die Auslandsaufenthalte, die ihn geprägt haben. Hier fand er eine Kirche der Armen vor, deren soziales Engagement jeden europäischen Wohlstands-Linken blass aussehen lässt, und zugleich eine Kirche der Bekenntnisse und Gottesbegeisterung, die der deutschen Religionsbürokratie wesensfremd ist. »Als ich wieder zurückkam in unsere Kirche, war es, wie wenn man eine Tante wiedertrifft und sich denkt: Mein Gott, bist du gealtert.«
Er spricht darüber während des
Weitere Kostenlose Bücher