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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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meine Hochspannung ist im Eimer. Gotteslob 165. »Sag ja zu mir, wenn alles nein sagt, weil ich so vieles falsch gemacht.« Na ja, vielleicht ist es doch okay, so hat man 1971 eben getextet. Aber Herr Neander hat es 1680 ergreifender gemacht, als ihm »Lobet den Herren« einfiel.
    Das »Vater unser«, das folgt, ist in seinem so oft gesprochenen, ja schon formelhaften Sog das einfachste Gebet überhaupt, weltumspannend und innig, und es wird gemeinschaftlich gebetet. Und da wir nicht wissen, wie wir »in rechter Weise beten sollen« (Römer 8,26), beten wir in Worten, die der Herr selber uns gelehrt hat.
    »Vater unser«. Das Gebet beginnt also mit dem Wort »Vater«. Wie groß und wahnsinnig, dass wir Gott unsern Vater nennen. Ist es möglicherweise völlig verfehlt, dass wir Gott männliche Züge geben, könnte er nicht auch weiblich sein oder geschlechtslos? Der Papst versucht sich in seinem Jesus-Buch an einer Erklärung dafür, warum sich diese männliche Vorstellung eines Schöpfergottes durchgesetzt hat, ja durchsetzen musste in einer Religionslandschaft, die von Muttergottheiten und pantheistischen Weltbildern bestimmt war. Davon hatte sich das männliche, monotheistische Schöpferprinzip abzuheben.
    Weiter. »Geheiligt werde dein Name.« Gott ist also anrufbar geworden für uns, durch seinen Namen.
    »Dein Reich komme.« Damit ist nicht die Hoffnung auf die klassenlose Gesellschaft gemeint, für die auch ich in meinen Jugendtagen eingetreten bin, noch die auf irgendeine andere menschengemachte Utopie, sondern die Hoffnung auf eine Welt, in der wir Gottes Stimme hören.
    »Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden« – wir erkennen an, dass letztlich er derjenige ist, der bestimmt, wo es langgeht, und der etwas mit uns vorhat.
    »Unser tägliches Brot gib uns heute« – ist das nicht die erhabenste Vereinfachung unseres Lebens auf die Grundbedürfnisse, auf Schlichtheit und Lebenserhaltung, jenseits allen Konsums?
    »Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.« Wir machen uns schuldig, wenn wir sündigen, Gott gegenüber und oft gegeneinander, und wir brauchen die Vergebung und wir müssen sie gewähren, denn in Hass und Rache und Vergeltung können wir nicht leben, das weiß jeder Therapeut.
    »Und führe uns nicht in Versuchung.« Ja, gib dem Bösen keinen Raum, verschone uns von der Versuchung durch die Hybris, die Macht, die Sinne, die Sinnlichkeit, die Räusche, es wäre verdammt schön, Gott, wenn die Versuchungen, die dann doch meistens in Desaster führen, einem erspart blieben. Ein Freund und Theologe schrieb mir, dass es im Aramäischen hieß »… führe uns in der Versuchung«, was darauf hindeuten würde, dass selbst Jesus ein von Versuchungen freies Leben nicht vorstellbar war.
    »Sondern erlöse uns von dem Bösen.« Der Papst übersetzt das Böse mit den Mächten des Marktes, dem Drogenhandel, dem Waffenhandel, der Ideologie des Erfolges, der Verdinglichung zu Lustmaschinen – erlöse uns von all dem, weil es uns hindert, Menschen zu sein.
    Es ist ein perfektes, ein alle Lebensbereiche umfassendes Gebet. Mehr braucht man nicht.
    Dann der Friedensgruß, du reichst den Banknachbarn die Hand, lächelst, murmelst »Der Friede sei mit dir«, ja, man wünscht sich buchstäblich »PEACE«, eine Sekunde lang ist das hier Woodstock, Martin Mosebach würde sich krümmen bei dem Gedanken … und es ist ein anderes Lächeln als das auf Cocktailpartys, es ist das Lächeln, das man teilt, wenn man gemeinsam aus einem Gebet auftaucht. Es gibt keine Klassen im Gotteshaus, dein Banknachbar kann Schlosser oder Chirurg sein, alle schauen nach vorne, alle schauen nach oben, alle sind gleich vor Gott – das, was der Kommunismus mit Terror zu verwirklichen suchte, gewinnt hier utopisch Gestalt im Glaubensraum: die egalitäre Gesellschaft.
    Nach dem Agnus Dei, »seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt«, der Priester hebt die Hostie, hebt
den Leib Christi hoch, und dann, kurz vor der Kommunion, wird das für mich wichtigste Gebet gesprochen, das ein einziger, großer Stoßseufzer ist, nämlich, »Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund«. Das Wort »würdig« gefällt mir besonders gut in diesem Zusammenhang, und dann das triumphale »aber«, denn Gott hat Nachsicht und Liebe, und er hat die Allmacht, mich gesunden zu lassen, und er kann es mit einem einzigen Wort. Und dann? »Wird

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