Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Hilfe für Schwangere geboten, Geld, Wohnungen, seelische Unterstützung, alles — bis auf die Abtreibungslizenz. Die Frauen wurden durchweg ermutigt, ihre Kinder auszutragen. Doch erstaunlich: Obwohl es keine Scheine mehr gab, stieg der Beratungsbedarf enorm. Offensichtlich hatte die lebensschützende Eindeutigkeit in Fulda ermunternde Wirkung. Nach Auskunft von Sieglinde Böllert-Abel, Geschäftsführerin der Beratungsstelle in Fulda, wurde im Jahr zuvor über 1300 Frauen in ihrer Notlage geholfen.
Die übrigen deutschen Bischöfe dagegen gaben nach wie vor Scheine aus, um, widersprüchlich genug, weiterhin werdendes Leben zu schützen. Rein statistisch ein evidenter Fehlschlag: Die Abtreibungszahlen stiegen trotz und womöglich wegen des katholischen Beratungsbetriebes in den letzten Jahren sprunghaft an.
Auf einen Brandbrief des Papstes antworteten die Bischöfe unter dem Mainzer Lehmann mit einem, so Dyba, »mephistophelischen« Manöver: Sie versahen die Scheine mit dem Aufdruck, dass sie nicht zum Abbruch berechtigten – wohl wissend, dass sie genau dazu weiterhin verwendet und anerkannt werden würden. Der Effekt aufs Publikum: Noch nicht einmal die Kirche steht zu ihrem eigenen Wort. Selbst die Kanzel wird nun doppelzüngig und verrät die eigenen Prinzipien. Sie biegt sich, krümmt sich, ist vernarrt in eine Beratungsindustrie, die vom Staat großzügig alimentiert wird. Willkommen im Club.
Wie peinlich, dass das Episkopat, vom Papst ertappt, nach einer erneuten Klarstellung aus Rom nun halbherzig zurückzurudern hatte – ausgerechnet in Fulda, wo sich die deutschen Bischöfe zur Herbst-Konferenz versammelt hatten. Ruderanstrengungen unter lautem Fluchen auf den »kuriennahen«
und »papsthörigen« Dyba – wohl weil er der einzige deutsche Bischof war, der sich und seinen Glaubensgrundsätzen treu geblieben ist.
Über den avisierten Ausstieg der katholischen Kirche grollt nun vor allem das politische Establishment. Familienministerin Bergmann, aus der DDR an einen reibungsloseren Abtreibungsbetrieb gewöhnt, sprach es am lässigsten aus – man habe die katholische Kirche nun mal gebraucht, weil es der »politische Konsens« dieser merkwürdigen christlichen Grundordnung im Westen verlange. Nun fällt das Feigenblatt. Nun hat der Gesetzgeber das Geschäft schlank und nackt selber zu besorgen.
Im Abtreibungs-Diskurs, zumindest in den alten Bundesländern, herrscht ja eine absurde Zwischenlage, die mit religiösen Nachwehen selbst in säkularisierten Zeiten zu tun hat. Die Empörung über den Ausstieg der katholischen Kirche lässt nur einen Schluss zu: Insgeheim wünscht man sich von dort Absolution für eine Praxis, die man auch selber rudimentär als Sünde noch begreift. Man will die Kirche im Boot, um das eigene Gewissen zu besänftigen.
Kein Zufall, dass die Aufregung um Dyba zeitgleich mit der um den Philosophen Sloterdijk durch die Blätter rauschte. Natürlich ist Abtreibung »pränatale Selektion«, wie sie von Sloterdijk in seiner eisig-dunklen Rede genannt wurde. Diese Selektion wird in Ländern wie Indien etwa konsequent an der Geschlechtslinie entlang betrieben – man möchte Jungen und treibt Mädchen ab – und bei uns an der zur Behinderung. Sloterdijk, der das Ende des »blinden Geburtenfatalismus« begrüßt, wurde ausgepfiffen. Seine Deutlichkeit machte schaudern. In dieser Krassheit möchte man es nicht ausgesprochen haben. Und jeder, der es tut, wird beschimpft. Dass Sloterdijk und Dyba, die sich einander entfernter kaum denken lassen, plötzlich gemeinsam im Fadenkreuz der Kritik standen, macht Sinn – beide stören die mollige Zwischenlage, die ermogelte Ruhe in dieser Frage.
Dass selbst auf dem Planeten Fulda die Moderne ihre Zersetzungen hinterlassen hat, wird klar, als der Bischof an einem Nachmittag im Prunksaal fünfzig Ministranten um sich versammelt und ein Quiz veranstaltet. Drei Punkte verspricht er demjenigen, der das »Confiteor« auf Lateinisch kann. Die Runde muss zerknirscht passen.
Um sie und vor allem sich selber wieder aufzumuntern, erzählt der Bischof, wie er Woytila kennengelernt hat, damals am Strand in Ostia. Beide in Badehose. »Hätte ich gewusst, dass er acht Wochen später zum Papst gewählt wird, hätte ich mir irgendeinen frommen Spruch einfallen lassen. Stattdessen haben wir uns über das Rauchverbot im Konklave unterhalten.« Die Ministranten kichern.
Ach übrigens: »Wo trifft sich das Konklave?« Schweigen in der Runde. Einzelne
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