Das katholische Abenteuer - eine Provokation
und erntete Sturm. Es war, als hätten die deutschen Feuilletons auf diese erste naive Blöße, diese in der Sache völlig richtige diplomatische Ungeschicklichkeit gewartet, um über ihn herzufallen. Die deutsche Begeisterung verschattete sich.
Dabei tat er alles, um die Missstimmung zu beheben. Er traf sich mit islamischen Würdenträgern und trat überhaupt, wo immer möglich, als Friedensstifter auf. Er sprach, schon in Köln in der Synagoge, das Kaddisch für die Holocaust-Opfer. Er sprach mit dem Oberhaupt der Kopten und dem evangelischen Bischof Huber. Er verständigte sich mit dem israelischen
Ministerpräsidenten und mit dem Chef der palästinensischen Autonomie-Behörde. Er schrieb einen Brief an die gespaltene katholische Kirche in China, und er bereiste Lateinamerika und entschuldigte sich dort für die Verbrechen, die während der Kolonialzeit im Namen der Kirche begangen worden waren. Der Papst war der Weltversöhner.
Schließlich brachte er sein wundervolles Jesus-Buch heraus, das auf Anhieb zum Weltbestseller wurde, und es war das erste Mal, dass ich von einem Papst als Schriftsteller fasziniert war. Sein Buch richtet sich genauso an Küng wie an die deutschen Bischöfe, an die Kirche von unten genauso wie an die Protestanten wie an die rund zwei Milliarden übrigen Christen auf der Welt, die daran glauben, dass Christus auferstanden ist.
Das Jesus-Bild hat sich, so der Papst, verändert seit den Zeiten Romano Guardinis. »Der Riss zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des Glaubens wurde immer größer.« Sein Buch versucht, diesen Riss zu schließen. Mehr nicht. Doch das ist eine gewaltige Aufgabe.
Benedikt beschreibt die Jesus-Figur aus dem Material der Evangelien. »Ich bitte die Leserinnen und Leser nur um jenen Vorschuss an Sympathie, ohne den es kein Verstehen gibt.« Eine feine diskurstheoretische Drehung im akademischen Raum, und wir können unbefangener nach vorne argumentieren – in Benedikts Denken liegt durchaus ein Lächeln. Er setzt sich mit den kritischen Exegesen der Evangelien auseinander, den protestantischen, den orthodoxen. Doch in erster Linie geht es ihm um die eigene Textanalyse, und die vollzieht er in den filigranen Wundern eines theologischen Ausnahme-Stilisten.
In der Bergpredigt sieht er – mit aller Emphase – die Auslegung der Wahrheit unseres Seins: »Die Notensprache unserer Existenz wird uns entschlüsselt.« Er scheut keine Auseinandersetzung, er sucht sie. Hier, anlässlich der Seligpreisungen der Bergpredigt, findet Professor Ratzinger Gelegenheit, mit Nietzsche zu debattieren, dem Dionysiker, der die Christen-Moral als »Kapitalverbrechen am Leben« bezeichnete. Die Bergpredigt
kommt bei Nietzsche als Ideologie der Schwachen und Feigen daher, und sie steht dem Willen entgegen, »die Angebote des Lebens jetzt auszuschöpfen, den Himmel hier zu suchen und sich dabei von keinen Skrupeln hemmen zu lassen«. So weit die moderne Bewusstseinslage – eine Diesseits-Versessenheit, die, so der Autor, »zum Missbrauch ökonomischer Macht« führt und zu einem System, das »aus Menschen Waren macht«. Und dagegen wird der »wirkliche Höhenweg des Lebens« gesetzt, der sich nur in den Liebes-Philosophemen der Bergpredigt enthüllt.
Der Papst beschränkt sich in diesem Buch auf Jesu öffentliches Wirken, von der Taufe bis zum Petrusbekenntnis. Dazwischen streut er Essays über die Sprache der Gleichnisse ein oder Betrachtungen über die johanneischen Bilder. Ein ziemlich imponierender diskursiver Bogen, unter dem das Leben des Herrn erzählt wird. Natürlich nutzt er dieses Buch auch, um Randschärfen herauszuarbeiten und klarzumachen, was Katholizismus bedeutet. Zum Beispiel in der Meditation über das Beten, im Kapitel über das »Vater unser«.
Beten ist kein kumpelhaftes Plaudern, sondern ritualisiertes Sprechen, dessen Formensprache ebenso wichtig ist wie das innige Verstehen. Die katholische Dialektik sagt, dass Spektakel und Struktur, Form und Inhalt immer zusammengehören. Die Formensprache aus Anreden und Bitten stützt die Andacht und sorgt für die gebührende Ehrfurcht vor Gott.
Das »Vater unser«, auf Professoren-Art zerlegt: »Drei Bitten sind Du-Bitten, vier sind Wir-Bitten. In den ersten drei Bitten geht es um die Sache Gottes selbst in dieser Welt; in den vier folgenden …« Und so weiter. Und das Erstaunliche: Dieses geduldige Häuten der Zwiebel fördert im Verlauf des abgenutzten Gebetes mit jeder Bitte neue, sehr aktuelle Deutungen
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