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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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so etwas wie seine Regierungserklärung. Dieser Papst hat wesentlich an den kämpferischen Sozial-Enzykliken seines großen Vorgängers mitgearbeitet. Er hat ihm zugearbeitet. Er hat ihm gedient. Es durfte erwartet werden, dass er sein Vermächtnis weiterführt zum Wohl der Weltkirche. Und man hat sich nicht getäuscht. Ein Deutscher folgt einem Polen auf dem Stuhl Petri. Ein Theologenpaar, das in aller Unterschiedlichkeit der Temperamente doch in den Wesensfragen einig war.
    Wir Deutschen konnten hoffen, dass dieser Papst für uns eine ähnliche Ermunterung darstellen würde, wie Karol Wojtyla sie für die Polen bedeutet hatte. Für die Menge hatte der schüchtern lächelnde Kardinal Ratzinger als Papst plötzlich Charisma. Die »Generation Benedikt« wurde gegründet. Dem Papst flogen die Herzen zu. Dieser Papst, der in den unruhigen Sechzigern ein Theologie-Star in Tübingen war (und dort womöglich traumatisiert wurde von lärmenden Hörsaalrevoluzzern), der dann als Professor in Regensburg und als Erzbischof in München wirkte, war schließlich von Johannes Paul II. nach Rom geholt worden, um auf die theologischen Befestigungsanlagen der Weltkirche mit ein Auge zu werfen. Er war Verwaltungsfachmann, Gelehrter, Buchfreund, kein Massentribun.
    Und nun war er Papst und verkörperte durch seine Wahl so etwas wie die Apotheose einer deutschen Biografie. Und so gab er nun den Segen urbi et orbi. Lange, das ließ sich in dem Moment getrost sagen, war der Welt nicht mehr so viel Hoffnung gebracht worden von einem Deutschen wie an diesem Tag. Und als er ein paar Monate später sein Heimatland besuchte und zum Weltjugendtag nach Köln kam, säumten Hunderttausende das Rheinufer. Ende des Jahres legte er seine erste Enzyklika vor, und die galt der Liebe, und selbst die
linksliberalen Feuilletonisten schienen sich mit ihm versöhnt zu haben.
    Inzwischen ist der Honeymoon vorbei. Nun wird ein erneuter Deutschland-Besuch vorbereitet, und die Betriebsnudeln der katholischen Kirche machen mobil. Nach dem Vorstoß von CDU-Politikern, verheiratete Männer zum Priesteramt zuzulassen, verbunden mit einer Generalschelte des Vatikan und Volten gegen die deutschen Bischöfe, folgten 144 TheologieProfessoren, die im Prinzip eine andere Kirche forderten.
    Hatte die erste Gruppe aus »Sorge um die pastorale Versorgung« gehandelt, reagierte die zweite auf die durch die Missbrauchsfälle hervorgerufene Kirchenkrise: Sie wollen – rätselhafterweise – ein Ende des Pflichtzölibats, Frauen als Geistliche, Basisdemokratie bei der Auswahl von Bischöfen und Pfarrern, Anerkennung von schwulen Lebensgemeinschaften sowie ein »Ende des moralischen Rigorismus«, ganz nach dem Motto: Sind wir nicht alle Sünder? Also bitte, da kann man doch mal ein Auge zudrücken, und soooo sehr in Stein gemeißelt sind die Zehn Gebote ja wohl auch nicht! Und in diesem Licht einer weniger rigorosen Moral sollte man dann wohl auch die Sache mit der Pädophilie nicht zu eng sehen.
    Die deutschen Funktionäre. Wieder einmal postulieren sie aus ihrem Herrgottswinkel der Weltkirche heraus einen kompletten »Neuanfang«, und nicht ohne taktische Perfidie nehmen sie diesmal die Erschütterungen des Missbrauchsskandals zum Anlass, im Gleichtakt mit der kirchenfeindlichen Presse die Hierarchie in toto herauszufordern, statt solidarisch und mitleidend mit dem Kirchenvolk und innerhalb der Kirche zur Heilung beizutragen.
    Aber der deutsche Katholizismus war schon immer ein Sonderfall, und der Papst wusste das, als er die deutsche, die bayerische Heimat besuchte. Die Deutschen seien, sagte er auf dem Münchner Marienplatz, mit »religiöser Schwerhörigkeit« geschlagen, und da er dabei lächelte, verstörte es keinen. Er berichtete von den erstaunten afrikanischen Bischöfen, die
meinten, die deutschen Katholiken lieferten alle sozialen Hilfen, die man sich vorstellen könne, aber der liebe Gott käme bei ihnen kaum noch vor.
    Ich fuhr nach Altötting, wo der Papst einen Gottesdienst unter freiem Himmel zelebrierte. Ich werde nicht vergessen, wie er die Monstranz durch die Menge trug. Ehrfürchtig, vorsichtig trippelnd, und seine Augen wanderten nach links und rechts, leicht misstrauisch, um mögliche Gefährdungen für den Leib Christi rechtzeitig zu erkennen. Als traue er dem Frieden hier unter den Deutschen nicht.
    Als er dann sein Heimatdorf Marktl am Inn besuchte, mischte ich mich unter die Wartenden. Mir kam es so vor, als ob alle jubelten, aber keiner so recht bei

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