Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
nicht. Immerhin steht unser Haus noch und unser Kind lebt. Das dürfen wir nie vergessen.“
Sören hatte recht. Hanna versuchte den aufkeimenden Gedanken zu unterdrücken, dass sie froh über Chantalles Tod war. So etwas durfte man nicht denken! Aber dieses schreckliche Gefühl der Ungewissheit, von wem das Kind wohl sein mochte, nagte an ihr. Sie sprach mit niemandem darüber. Weder mit Elaine, noch mit Sören. Es war unmoralisch, sich den Tod der Tochter einer Freundin zu wünschen. Selbst wenn diese mit dem eigenen Mann ins Bett gestiegen war und vielleicht von ihm ein Kind erwartete. Das würde man nun glücklicherweise nie erfahren. Hanna schmiegte sich an ihren Mann, versuchte zu schlafen. In wenigen Stunden würden sie schon wieder aufstehen müssen, um das Flugzeug in Richtung Kanaren zu erwischen. Ihre Familie war wichtiger als die Freundschaft zu Lisa und Elaine, die vielleicht gar nicht in der Form existierte, wie sie es sich immer vorgemacht hatte.
Nebenan chattete Kimberley im Internet herum. Ihre Laune war hervorragend. Dass sie gar keine Depressionen mehr hatte, verheimlichte sie ihren Eltern, denn so konnte sie die Ferien noch etwas ausdehnen. Zwei Wochen in die Sonne zu fliegen gefiel Kimmy richtig gut. Während die anderen aus der Klasse schon nächsten Donnerstag wieder zur Schule mussten, würde sie vielleicht einen süßen Typen am Strand kennenlernen. Sie war so froh, dass das Suhrhoff-Haus abgefackelt war! Am meisten freute sie sich allerdings darüber, dass Papas blöder Seitensprung tot war. Sie hasste Chantalle Mahler und wusste genau, was die Schlampe mit der Ehe ihrer Eltern angerichtet hatte. Was aber das Allerbeste von allem war: Der ekelhafte Typ aus dem Kellerzimmer der Suhrhoffs war mit dem ganzen Gasgrill in die Luft gegangen. Sie war die Einzige, die wusste, wer der Mann auf dem Bild aus der Zeitung war. Die Polizei wollte keine weiteren Informationen zur Identität des Getöteten herausgeben, weil die Ermittlungen noch andauerten. Nur Kimberley kannte dieses Schwein.
Alle bescheuerten Leute waren tot und die Gruselkammer gab es nicht mehr. Kimberley Zielkes Leben konnte endlich beginnen!
***
An Scheidung hatte sie noch nie gedacht. Lisa hatte die schlimme Zeit überstanden, als Ingmar im Gefängnis war. Sie hatte es überlebt, dass Fredi Kummer sie stalkte und selbst die Zeit in der Klinik war irgendwann vorbei gewesen. Nun würde Lisa es auch aushalten, dass sie in einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung hausten und alles verloren hatten. Nicht alles! Ihr Mann und die Kinder waren bei ihr und lebten – und das war schließlich das Wichtigste. Sie schaltete den Fernseher ein, um die Nachrichten zu schauen. Das tat sie sonst nie, aber seit eine schlimme Naturkatastrophe auf den Philippinen wütete, war Lisa geradezu süchtig nach Bildern mit obdachlosen Menschen. Ja, sie wusste genau, wie man sich fühlt, wenn einem das Dach über dem Kopf genommen wurde. Allerdings spendete ihr niemand Geld – auch die Bundeskanzlerin nicht. Darüber konnte Ingmar sich richtig aufregen. „Diese Schlitzaugen am Arsch der Welt vermehren sich wie die Karnickel und kassieren unsere Kohle, aber wir müssen sehen, wie wir klarkommen! Eine Sauerei ist das!“, hatte er eben gemeckert, bevor er die Wohnung verließ.
Trotz der fürchterlichen Verhältnisse in ihrer Übergangsbleibe, bemühte Lisa sich um Stil und Ordnung. Sie ging ins Kinderzimmer, machte die Betten, spülte das Frühstücksgeschirr ab und putzte das Klo. Gerade einmal 72 Quadratmeter maß die Wohnung. Alles sah so schäbig aus! Lisa traten die Tränen in die Augen. Ihre schönen Möbel, all die Kleider und Fotos, der große Fernseher, die Küche … es war kaum zu ertragen, sich all die verlorenen Sachen aufzuzählen, denn man kam zu keinem Ende. Man hatte nur sehr wenige Dinge retten können, nachdem ihr Traumhaus in der Veilchengasse in die Luft gejagt wurde. Die Versicherung hatte ihnen ein bisschen Geld für den Anfang überwiesen, aber Lisa hatte keine Ahnung von der Höhe des Betrages. Ingmar meinte, dass er sich um alles kümmerte. Er hatte viel zu tun, denn vormittags arbeitete er vorübergehend in einem Call Center, bis er endlich wieder in einem Autohaus angestellt würde. Gegen 14 Uhr kam er nach Hause, telefonierte mit den Versicherungen und der Polizei herum, anschließend machte er sich erneut auf, um nach Arbeit zu suchen. Sie hatten noch nicht mal mehr einen Trockner! Tapfer schluckte Lisa die Verzweiflung herunter und
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