Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
einmischen. Chantalle betete das erste Mal seit ihrer Einschulung. Damals hatte sie Gott angefleht, dass beide Eltern mit in die Schule kommen mögen. Zwischen Elaine und Mats zu laufen, beide Elternteile an der Hand zu halten, das war Channi wie das größte Glück vorgekommen. Wie sehr hatte sie sich eine stolze Mama gewünscht – und wie kaputt war jetzt alles. Nein, sie wollte Elaine nicht zurückhaben. Ihre Eltern konnten ihr beide gestohlen bleiben. Aber sie wollte es besser machen. Sie und ihr Kind waren dafür bestimmt, ein Leben in Luxus zu führen, ohne dabei auf den Gefühlen anderer herumtrampeln zu müssen. Irgendwo gab es bestimmt einen Kerl, der nicht nur hinter ihr her war, sondern die Kleine ebenso vergötterte wie Chantalle.
Damals hatte Gott sie enttäuscht. Elaine wartete rauchend vor dem Schulgebäude, während Mats sich zwischen die anderen Eltern quetschte und den Erstklässlern dabei zusah, wie sie ihre Lehrer und Klassenkameraden kennenlernten. Vielleicht hatte sich durch die jahrelange Enthaltsamkeit in Gebetsfragen nun ein Vorrat angesammelt und Chantalles inständigem Zwiegespräch mit dem Allmächtigen wurde nun entsprochen. Schützend die Hände vor den flachen Bauch gelegt, verharrte sie in der Ecke eines stockfinsteren Raums, in den sie ihr Entführer gedrängt hatte. Er selbst hatte sich mit dem Rücken an sie gepresst, hielt die Tür fest im Blick. Wie er stank! Schon wieder kam die Übelkeit in Chantalle hoch. Sie zwang sich weiter zu beten. Bitte, lieber Gott, lass mir und meinem Baby nichts zustoßen! Wir werden das alles hier hinter uns lassen und ein gutes Leben führen, ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist!
„Kann ich mich vielleicht hinsetzen, mir ist schon wieder so schlecht?“, fragte Chantalle so wenig vorlaut wie möglich.
„Nein.“
„Aber wenn ich wieder kotzen muss …“
„Kotzt du mich noch einmal voll, ist was los! Schnauze jetzt!“
Mike musste nachdenken. Jetzt war er schon wieder in dem verdammten Zimmer. Er musste an die Kleine denken. Und an Lisa. Eigentlich schade, dass er jetzt nicht mit ihr hier war, sondern mit dieser komischen Tussi, die ihn überhaupt nicht reizte. Auf gar keinen Fall durfte er aus den Augen verlieren, dass Ingmar endlich das Geld raus rückte.
Endlich öffnete sich die Tür. Mike trat vor, man konnte zumindest wieder die Hand vor Augen sehen, obwohl es immer noch sehr dunkel war. Ingmar stand breitbeinig vor dem Raum. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren, mal kurz nicht an Sebastian denken, sonst würde er total ausrasten.
„Komm mit, Mike, wir klären das jetzt eben. Aber dann muss ich ins Krankenhaus. Scheiße, und jetzt auch noch kein Licht hier, ich werd noch bekloppt. Wenn, dann kommt immer alles auf einmal, was?“, versuchte Ingmar einen kleinen Scherz. Er schloss das Kellerzimmer ab, ging mit Mike in die Küche.
„Bier?“, fragte Ingmar, während er den Kühlschrank öffnete. Misstrauisch beobachtete Mike seinen alten Kumpel.
„Ja. Haste auch was zu beißen, ich hab so einen Kohldampf.“
Wortlos reichte Ingmar dem Kontrahenten ein Pils und zwei Würstchen.
„Pass auf, Mike, ich hab derzeit einen Engpass. Ich bin meinen Job los, dann hat meine Alte lauter Kohle verbraten, während ich noch im Knast saß. Du kriegst dein Geld, das ist doch wohl klar! Mann, ohne dich wäre ich voll aufgeschmissen gewesen! Danke nochmal! Kumpel, lass uns überlegen, wie wir aus der ganzen Scheiße rauskommen. Wir müssen doch zusammenhalten.“
„Hm. Das ist doch alles Scheiße, Mann, ich bin pleite und du lebst hier in deinem fetten Haus mit deiner Schnalle.“
„Hör bloß auf. Die ist auch nicht mehr so geil, wie sie vorher war, kannste mir glauben! Sag mal, wo hast du denn die da aufgegabelt?“ Ingmar grinste anzüglich und wies in Richtung Kellerzimmer. Mike lachte ebenfalls dreckig. „Ist mir zugelaufen.“
„Ich kenn die“, sagte Ingmar. „Ist die Tochter einer Familie hier aus der Straße. Lisa ist mit der Mutter befreundet. Eine Riesenschlampe ist das Mädchen.“
„Sie sagt, sie ist schwanger.“
Ingmar musste lachen. Chantalle war doch kaum älter als Julia. Das geschah den Mahlers aber so was von recht!
„Also, ich brauch das Geld. Dann bleib ich eben hier. Weißt du, wie kalt das im Auto ist? Ich gurk nun seit Wochen durch Polen, damit die Bullen mich nicht finden. Wenn das mit deinem toten Nachbarn rauskommt, sind wir beide dran!“, redete Mike sich in Rage.
„Ja, ja, dann bleib halt
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