Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
sofort schnappen und mit einem Polizeiwagen zurück nach Hause bringen. Ihren Vornamen fand sie sowieso schon immer bescheuert. Was ihre Eltern sich bei Kimberley gedacht hatten, musste man nicht verstehen. Und Kimmy klang wie ein Hundename. Da gefiel ihr Julia schon wesentlich besser.
„Julia. Und weiter? Und wo kommst du her? Hat man schon mal Fotos mit dir gemacht?“
Was meinte der Typ? Der Nachname, den sie sich eigentlich ausgedacht hatte, fiel ihr nicht ein.
„Suhrhoff. Julia Suhrhoff.“ Was wohl passieren würde, wenn er die richtige Julia suchte? Dann hätte sie ihre Nachbarin auf dem Gewissen! „Wir wohnen in Bremen.“
Das war auch gelogen. Aber nur fast. Sie wohnten ja in der Nähe von Bremen. Schon wieder wurde Kimberley ganz schlecht vor Angst. Bestimmt würde er rausbekommen, dass es gar keine Julia Suhrhoff in Bremen gäbe. Außerdem verstand sie die Frage mit den Fotos nicht.
„Ich schmeiss dich gleich in Altona raus“, sagte er, „du gehst mir auf die Nerven. Hier“, er griff in ein Ablagefach und zog eine Visitenkarte heraus, „da ist meine Adresse und Telefonnummer. Da rufst du an, wenn du Geld brauchst, dann machen wir ein paar Bilder. Hast du damit Erfahrung?“
Ach so, er meinte einen Modeljob! Ihr Herz machte einen kleinen Freudensprung. Auch, wenn der Typ unheimlich war, so wollte er ihr offenbar nichts tun, sondern sie zu einem Job überreden. Er fand sie vielleicht sogar hübsch und überhaupt nicht zu dick.
„Nur ein bisschen, aber eine Mappe oder so habe ich noch nicht.“ Das kannte sie von Heidi Klum. Fernsehen bildet also doch.
„Dafür brauchst du keine Mappe“, feixte er, während er die Autobahn verließ und direkt in die Stadt fuhr. Kimberley atmete auf. Hier würde er ihr nichts tun, es waren doch überall Menschen auf der Straße. „Hier steigst du aus.“ Er machte eine Vollbremsung und blieb in zweiter Reihe mitten auf einer viel befahrenen Straße stehen. „Los, beeil dich, Mann!“
„Die Tür ist zu“, wisperte Kimberley.
Genervt entriegelte der Mann die Tür und sie stürzte nach draußen. „Danke!“, rief sie und schlug die Tür zu. Mit dem Rucksack in der Hand mischte sie sich unter die Fußgänger und lehnte sich gegen eine Hauswand. Das Auto verschwand. Sie hatte sich das Kennzeichen schon wieder nicht gemerkt, aber das war jetzt ja auch egal. Er hatte ihr nichts getan; sie war so froh! Zwar hatte sie keine Ahnung, wo sie war, aber er hatte ja etwas von Altona geredet. Von weitem hörte sie die Geräusche von einem Zug. Vielleicht war es auch eine Straßen- oder S-Bahn. Keine Ahnung. Sie folgte der Straße und lief einfach in irgendeine Richtung. Jetzt war sie eine richtige Ausreißerin.
Kimberley war stolz und fühlte sich frei. Als sie durch einen völlig abgeranzten Tunnel ging, kam sie sich vor wie in New York. Das war die große weite Welt und sie, Kimberley Zielke, war mittendrin. Den Modeljob würde sie auf jeden Fall machen. Bis dahin wollte sie abnehmen – jetzt erst recht. Sie verzichtete darauf, sich ein Eis oder Pommes zu besorgen, sondern freute sich, als sie ein Straßenschild entdeckte. Altona Bahnhof stand drauf. Von dort aus ging es sicher auch zum Hauptbahnhof. Das Ausreißen war eine geile Idee gewesen, sie beglückwünschte sich noch einmal dazu. Und hoffte, dass ihre Eltern inzwischen ihr Verschwinden bemerkt hatten.
***
„Was Lisa jetzt wohl grad macht“, sagte Hanna zu Elaine, während sie vom Friedhof zurück in die Veilchengasse gingen. Hanna trug ihre typische Beerdigungsmontur mit schwarzem Hosenanzug, weißer Bluse und schwarzen Stiefeletten. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt und sogar mit einem breiten, schwarzen Kamm befestigt. Elaine fand das affig und hatte das bei der Begrüßung auch gleich kundgetan.
„Bist du Jacky Kennedy, oder was? Fehlt nur noch das Hütchen mit schwarzem Schleier vor den Augen. Meine Güte, Hanna! Es geht doch nur um Fredi Kummer. Meinst du, er hätte sich für deine Beerdigung so zurechtgemacht?“
Unsicher hatte Hanna die Freundin von oben bis unten gemustert. In den letzten Wochen hatten die ungleichen Frauen sich immer besser kennengelernt – dennoch waren sie sich oft so fremd wie Wesen von zwei verschiedenen Planeten. Elaine trug doch tatsächlich zu Jeans und schwarzen Stoffschuhen eine dunkelblaue Regenjacke. Sie sah aus, als wollte sie nur mal eben eine rauchen gehen! Nein, das gehörte sich einfach nicht.
Nun, nachdem die Trauerfeier beendet war, musste Hanna
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