Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
dran!
Niemand wusste von ihrem schrecklichen Erlebnis und sie wollte es auch niemals irgendwem verraten. Sie wollte einfach nur weg aus der Veilchengasse. Weg von ihrer Mutter, die den Ernst der Lage nicht erkannte. Wie konnte sie nur mit Lisa Suhrhoff befreundet sein? Nein, Kimberley wollte mit diesen Leuten nichts zu tun haben. Doch als sie ihrer Mutter die Bitte vorgetragen hatte, in Zukunft bei Papa zu wohnen, hatte es angefangen mit dem Theater. Zuerst hatte ihre Mutter dramatisch gerufen: „Mein eigenes Kind wendet sich von mir ab! Ich habe alles falsch gemacht!“ Später stellte sich raus, dass ihr Vater sie gar nicht bei sich haben wollte. Kimberley verstand das nicht. Ihr Papa war doch sonst immer so lieb zu ihr, besonders seit er ausgezogen war.
„Schau mal, Kimmy, ich bin doch den ganzen Tag bei der Arbeit und wohne nur vorübergehend im Hotel. Bis Mama und ich uns wieder vertragen haben. Ich habe überhaupt nicht genug Zeit und Platz für dich in meiner engen Übergangsbehausung! Und Mama wäre fürchterlich unglücklich“, hatte Sören auf seine Tochter eingeredet. Für Kimberley war klar: Auf ihre Eltern konnte sie momentan gut verzichten. Ihre Familie war kaputt und jeder dachte doch sowieso nur noch an sich. Vielleicht würde sie etwas erreichen können, wenn sie von zu Hause weglief. Ihre Eltern würden bestimmt krank vor Sorge werden und sich zusammenraufen. Dann käme Papa zumindest zurück in die Veilchengasse und ein Mann wäre im Haus, der sie vor dem unheimlichen Killer beschützen könnte. Überhaupt – das war die Lösung!
Hastig warf Kimberley T-Shirts, Pullis, Jeans und Unterwäsche in ihren Reiserucksack. Endlich konnte sie das unförmige Teil mal gebrauchen. Ihre Eltern hatten es ihr vor Jahren zu Weihnachten geschenkt und waren enttäuscht über die nicht vorhandene Freude der Tochter gewesen. „Kimmy, das ist wirklich ein sehr hochwertiger Outdoorrucksack, den kann man immer gebrauchen!“ Wie sehr ihre Mutter doch recht behalten sollte! Kimberley lachte gehässig auf und wischte einige Tränen, die ihr vor lauter Selbstmitleid aus den Augen traten, wütend weg. „Rabeneltern! Den werde ich es zeigen! Sie werden sich noch schämen, weil sie mich so schlecht behandelt haben!“
Das Mädchen überlegte, was es unterwegs dringend benötigte. Am wichtigsten war vermutlich Geld für Essen und Trinken. Kimberley öffnete eine Spardose nach der anderen und zählte nach. Dank Papas Arbeit in der Bank hatte sie jede Menge Spardosen. Wenn ihre Großeltern zu Besuch waren, hielt Kimberley ihnen das jeweils leerste Sparschwein vor die Nase und sie füllten es mit Münzen und Scheinen. Sie hatte immerhin etwas mehr als dreihundert Euro angespart! Damit würde sie mindestens sechs Wochen gut überleben können, dachte die Dreizehnjährige sich. Oder etwas weniger, falls sie eine Fahrkarte kaufen wollte. Erst einmal würde sie nach Hamburg fahren, zum Hauptbahnhof. Sie stellte es sich aufregend vor, wie ein Straßenmädchen zu leben. Mit den komischen Punkern wollte sie nichts zu tun haben; die waren ihr unheimlich. Aber vielleicht würde sie eine andere Ausreißerin kennenlernen und mit ihr aufregende Dinge erleben.
Einen Schlafsack würde sie bestimmt gut gebrauchen können, aber wenn man von zu Hause fortlief, nahm man doch nur das Nötigste mit. Nein, ein Schlafsack war zu peinlich. Stattdessen stopfte sie noch zwei Flaschen Cola und mindestens zehn Schokoriegel in die Tasche. Äpfel machten sich auch gut, davon wollte sie in der Küche noch welche mitnehmen. Obwohl Kimberley eigentlich gar nicht so auf Obst stand. Trotzdem aßen Hungrige gerne Äpfel. Wenn sie zwei Wochen weg wäre, würde sie bestimmt so schön schlank sein wie Julia Suhrhoff. Wie es der wohl grade ging? Kimberley schaute sich traurig in ihrem gemütlichen Zimmer um und eilte dann entschlossen nach unten. Sie musste schnell verschwinden, bevor ihre Mutter von der Beerdigung zurück war. Einen Abschiedsbrief hatte sie auf ihr Kopfkissen gelegt. Dafür hatte sie mehr als drei Anläufe gemacht. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen:
Ich bin für ein paar Wochen weg, weil ich es hier einfach nicht mehr aushalte. Vielleicht denkt ihr mal darüber nach, was ihr mir mit eurer egoistischen Art antut. Ihr braucht mich nicht zu suchen, ich komm gut alleine klar. Kimmy
Schon wieder musste sie weinen. Hoffentlich würden Mama und Papa den Schreck ihres Lebens bekommen. Das geschah ihnen so recht! Sie zog die Haustür hinter
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