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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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der ich hier spreche, kam, als ich acht Jahre alt war. Wie meine vier Brüder bereits einige Zeit vor mir, ging ich damals in den Kommunionunterricht.
Wochenlang machte man uns Kinder mit den wichtigsten Glaubensinhalten vertraut und bereitete uns auch auf die erste Beichte vor. Um beichten zu können, mussten wir die zehn Gebote genau kennen, und so lernten wir sie auswendig, damit wir sie später im Beichtstuhl eines nach dem anderen aufsagen und unsere Sünden bekennen konnten. Hatten wir den Großen Gott nicht genug geehrt? Hatten wir seinen Namen missbraucht? Hatten wir Mutter und Vater nicht genug geliebt? Hatten wir gelogen oder gestohlen?

    Ich kannte die zehn Gebote also, als ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Beichtstuhl betrat, ich wusste sie auswendig und hätte sie zu jeder Zeit und in jedem Raum aufsagen können. Doch ich hatte noch nie einen Beichtstuhl von innen gesehen, und so schlüpfte ich ahnungslos hinter den schweren Vorhang und kniete mich in ein tiefes Dunkel. Der Priester, mit dem ich sprechen sollte, befand sich hinter einem engmaschigen Gitter, ich konnte ihn nicht richtig erkennen, anscheinend trug er ein schwarzes Gewand und eine violette Stola, aber ich war nicht sicher, ob ich mir das alles nicht nur einbildete.

    Das tiefe Dunkel machte mir Angst, und ich spürte sofort, wie diese Angst mir jeden Mut, ein paar Worte zu sagen, nahm. Ich faltete angestrengt die Hände und schloss die Augen, ich wünschte mir, das alles möge schnell vorbeigehen oder am besten schon vorbei sein. So verharrte ich minutenlang in der Stille des engen Raumes, ich konnte mich weder bewegen noch etwas sagen,
es war ein peinlicher, grässlicher Zustand, der mir die Tränen in die Augen trieb.

    Dann aber hörte ich aus dem Dunkel eine Stimme, und die Stimme stellte mir eine Frage:
    – Wie heißt Du, mein Junge?

    Die Stimme war sehr leise, und sie war ruhig und freundlich. Einen Moment lang glaubte ich, dass es gar nicht die Stimme des Priesters hinter dem Gitter, sondern die Stimme einer dritten Person sei, die sich irgendwo versteckt ebenfalls noch in diesem dunklen Beichtstuhlgehäuse befinden musste. Jedenfalls konnte ich erkennen, dass der Priester mir seinen Kopf nicht zuwandte. Wenn er es war, der da gerade sprach, sprach er nicht in meine, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Es sah so aus, als horchte er dabei auf die ferne, dritte Stimme, die aus dieser Richtung kam und sich vielleicht in unser Gespräch einmischen würde.

    Die Frage, die mir gestellt worden war, brachte mich noch mehr durcheinander, doch sie war immerhin ein Angebot, das Schweigen zu beenden. Ich nannte meinen Vornamen, und ich hörte, dass die ferne Stimme diesen Vornamen wiederholte, als wollte der Sprecher sich ihn einprägen oder als dächte er über ihn nach.
    – Warum sagst Du nichts, Benjamin? Willst Du nicht mit mir reden?

    Ich schluckte und spürte kalten Schweiß auf der Stirn. Nein, ich wollte mit dieser fernen Stimme nicht reden,
ich hatte Angst, aber konnte ich das auch offen sagen, ohne mich lächerlich zu machen? Auf keinen Fall jedoch wollte ich lügen, denn Du sollst nicht lügen! war das achte Gebot, das hatte ich erst gerade gelernt, und ich hatte mir geschworen, die gerade gelernten Gebote auch zu befolgen. Ich richtete mich auf und drückte die Brust etwas durch, ich hatte keine andere Wahl, und so antwortete ich:
    – Nein, ich möchte nicht mit Dir reden.

    Noch während ich diesen Satz sagte, ahnte ich, dass nun unweigerlich die Frage, warum ich denn bloß nicht reden wolle, kommen würde. Warum willst Du denn nicht mit mir reden? – ich hatte diese Frage schon im Ohr, und ich überlegte bereits krampfhaft, was ich darauf antworten sollte, ohne mich in ein langes Frage-und Antwort-Spiel zu verstricken. Die erwartete Frage ließ aber auf sich warten, und es war einen langen Moment still. Ich bewegte mich nicht, auch der Priester hinter dem engmaschigen Gitter schien sich nicht zu bewegen. Was war mit ihm? Dachte er über mich nach? Überlegte er, was er tun sollte? Oder befragte er vielleicht Gott, der ihm dann zuflüsterte, was er mich als nächstes fragen sollte?

    Es kam mir wahrhaftig so vor, und diese Vermutung wurde noch dadurch verstärkt, dass der Priester weiter nicht in meine Richtung, sondern in die entgegengesetzte schaute. Lauschte er etwa ins Dunkel? Hielt er den Kopf nicht etwas schräg und das rechte Ohr dadurch etwas höher als das linke, so, als reckte er es eigens
dem Himmel

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