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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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vierzig, Beniamino, ich habe viel Zeit hier in Mandlica in aller Stille und Ruhe verbracht, ich muss mir jetzt genau überlegen, wie die Zukunft aussehen soll.
    – Und weißt Du es jetzt?
    – Ja, ich habe eine Idee, aber ich weiß natürlich nicht, wie die Sache mit uns beiden ausgehen wird. Wir kennen uns ja kaum, und das Wenige, das ich im Augenblick über Dich weiß, weiß ich von anderen Menschen und nicht direkt von Dir.
    – Wer hat Dir denn von mir erzählt?
    – Maria hat viel von Dir erzählt, auch ohne dass ich sie nach Dir gefragt hätte. Sie weiß nicht, dass ich mich in Dich verguckt habe, ich habe es ihr noch nicht gesagt. Auch Alberto hat mir einiges erzählt, ich habe ihn von unterwegs mehrmals angerufen, und wir hatten ein paar längere, gute Gespräche. Alberto ist sehr verschwiegen, ich kann ihm vertrauen. Und schließlich war da noch Ricarda Chiaretta, mit der Du ein paar Fragerunden durchgeführt hast. Sie ist eine meiner besten Freundinnen hier in Mandlica, weißt Du. Sie hat gesagt, dass Du der Richtige für mich bist, aber dass es ein langer Weg werden wird, bis wir uns einig sind. Genau das hat sie gesagt. Ich habe oft darüber nachgedacht und manchmal auch über diese Orakel-Sätze gelacht. Dann habe ich mir überlegt, den langen Weg abzukürzen und nachts einfach in Dein Zimmer zu schleichen, um mich zu Dir ins Bett zu legen. Der einfachste, kürzeste Weg ist der schönste, dachte ich.
    – Der einfachste Weg ist an Schönheit nicht zu überbieten, antworte ich.
    – Nicht wahr? sagt sie leise.

    Ich höre dieses hingeflüsterte Nicht wahr?, und ich bemerke zum ersten Mal, dass sie leicht verlegen ist. Sie hat sich all diese Sätze zurechtgelegt und abgerungen, denke ich, sie hat unendlich lange darüber nachgedacht, wie sie es anstellt, mit mir zusammenzukommen. Ich kann es nicht glauben, ich habe mit so etwas nie gerechnet. Wir liegen nebeneinander in diesem breiten, herrlichen Bett, und wir verstehen uns sofort, obwohl wir bisher nur wenig miteinander gesprochen haben.

    Ich drehe mich zu ihr, ich öffne die Augen und sehe, dass Paula gegen die Decke schaut. Sie liegt wie erstarrt oder abwesend da, als ich ihren Kopf in beide Hände nehme und sie zum ersten Mal küsse. Ich küsse sie vorsichtig, versuchsweise, mehrmals und dann immer wieder, und ich spüre, wie ich den leicht erstarrten Körper belebe. Er regt sich, er kommt auf mich zu, er schmiegt sich eng an mich, und dann küssen wir uns beide, und ich schließe wieder die Augen und glaube, in dem tiefen Schwarz der Nacht wie in einem raschen Flug zu verschwinden.

    Der spröde Duft ihrer Haare! Die straffe, leicht warme und anschmiegsame Haut! Die breiten Lippen, deren Erregung ich genau spüre: etwas Zitterndes, Forschendes, Beharrendes, Tastendes! Ihre Hände, die meinen ganzen Körper immer wieder heranholen an den eigenen. Ihr Atem, der allmählich schärfer und stärker wird. (Ich liebe es, diesen starken und immer stärker werdenden Atem zu hören. Dieses heftiger werdende Atmen signalisiert das Ende des ewigen Redens und damit das Ende des Fragens und Antwortens. Es bläst die Sprache fort, es füllt den Körper mit den Atmosphären des geliebten,
anderen Körpers, es saugt ihn allmählich heran … – und bringt die beiden Körper schließlich auf eine gemeinsame Stufe der Erregung. Sie laden sich gegenseitig auf, sie wachsen, sie tanken die Liebesenergien, bis hin zu dem Punkt, an dem sie ganz zueinander finden und die Vereinigung von keiner Macht der Welt mehr aufzuhalten ist.)

    Ihr Körper ist fest und athletisch und erscheint viel kräftiger und größer als tagsüber. (Ich denke wieder an Tanz oder Tango und erzähle ihr das später auch, sie lacht und verneint das: Wieso denn Tanz? Und wie kommst Du auf Tango? Nein, ich schwimme viel und oft, ich schwimme unten im Meer, ich werde Dir zeigen, wo ich alle paar Sommertage schwimme.) Sie stützt ihren Körper einen Moment mit beiden Händen ab und legt sich dann langsam und vorsichtig auf mich. Ich spüre diese Bewegung wie die einer starken Welle, die sich auf mir ausbreitet und mich überläuft. Sie nennt mehrmals meinen Namen, und es hört sich an, als riefe sie um Hilfe oder Beistand, dann hört das auf, und sie küsst mich immer wieder, nicht mehr auf den Mund, sondern auf den Hals und die Brust, sie gleitet mit ihren Küssen an meinem Körper hinab, und ich glaube zu hören, dass sie mit diesem entzündeten, erhitzten Körper jetzt spricht. Es ist aber eine

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