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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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durchaus im Bereich der Möglichkeiten, auch wenn das entsprechende, von mir bereits angedachte Liebesobjekt noch etwas zurückhaltend wirkt.) Ich sage das meinen Brüdern aber nicht so. Und warum nicht? Weil ich genau weiß, dass sie sich in diesem Fall zu zweit oder sogar zu dritt (ja wenn nicht zu viert) auf den Weg nach Sizilien machen würden, um hier, an meiner Seite, Ferien zu machen. Mit ihren gesamten Familien würden sie Mandlica besetzen, und diese Besetzung wäre schlimmer als die brutalste Eroberung des Ortes durch sämtliche Normannen in dunkler Zeit.

    Ich spreche mit Alberto über das hoch gelegene Kastell und meinen Einfall, dort Gespräche mit Menschen zu führen, die nicht mit mir zusammen im Ort gesehen werden wollen. Alberto findet die Idee gut und will sich um einen Schlüssel zum Kastell bemühen. Wir werden den Schlüssel und damit den nächtlichen Zugang zum Kastell ganz offiziell im Rathaus beantragen, ja ich werde sogar einen schriftlichen Antrag einreichen, damit alles
seine Ordnung hat. Natürlich werde ich die heimlichen Gespräche unerwähnt lassen. Meine Begründung wird sich vielmehr auf Kapitel Neun meines Buchprojekts über Mandlica beziehen: Sprachen des Kastells. Ethnologie der verborgenen Reden/ Nachtmotorik der Rede. Niemand im Rathaus kann sich darunter etwas vorstellen. Als ich Alberto meinen Text vorlese, muss er so laut und lange lachen, dass in einer Seitenstraße die Hunde vor lauter Angst heftig zu bellen anfangen.

    Professore Volpi bittet mich dringend um eine Begegnung. Wir verabreden uns zu einem Mittagessen bei Mario. Schon oft haben wir an getrennten Tischen dort gesessen und unsere Suppen gelöffelt, jetzt sitzen wir zusammen an einem Tisch und reden wie universitäre Kollegen, die auch prompt in die Sprache der universitären Kollegialität verfallen. Volpi spricht von dem Großprojekt über die Kultur der sizilianischen Dolci , das er in Palermo durchgesetzt habe. Er hat auch gleich die entsprechenden Papiere und Anträge dabei, die mich schon beim ersten Draufschauen leicht verärgern. Das Projekt ist historisch orientiert und durchwandert von den Zeiten der Eroberungen Siziliens durch die Griechen bis in die Gegenwart jede historisch neue Nuance der Dolci-Produktion ideenlos und penetrant wie eine Folge historischer Marotten, die genau so, aber auch ganz anders hätte stattfinden können. Ich habe nicht die geringste Lust, gegen diesen Materialfetischismus etwas zu sagen. Ich werde mich nicht einmischen, nein, auf keinen Fall. Ich werde – wie gewünscht – den Eröffnungsvortrag der Großtagung in fünf Jahren halten, mehr nicht. Ich tue
daher interessiert, steuere ein paar Nichtigkeiten zum Gespräch bei und höre mir (gar nicht überrascht) an, dass die Großtagung unabhängig vom Stand des baulichen Großprojekts auf jeden Fall stattfinden wird. Das bauliche Großprojekt leide nämlich unter Geldmangel und sei noch längst nicht ausreichend finanziert. (Es fehlen Staats-und Landesgelder in erheblichen Summen, und diese Summen stehen höchstens dann bereit, wenn die beantragten EU-Gelder fließen.) Ich beobachte Volpi, mir gefällt seine relativ bescheidene Art, ich kann mir aber nicht vorstellen, woher ein Mann wie er seine angeblich legendäre Wirkung auf Frauen beziehen will. (Ich werde seine Mutter danach fragen.) Als wir uns verabschieden, bitte ich ihn um ein Gespräch mit seiner Mutter. Er weicht aus und lügt zum ersten Mal dreist, indem er behauptet, seine Mutter sei seit Jahren sehr kränklich. (Er ahnt nicht, dass solche Lügen mich reizen. Sie reizen mich so sehr, dass ich mit allen Mitteln versuchen werde, mit seiner Mutter ins Gespräch zu kommen. Ich habe auch bereits eine Idee, wie ich das anstellen werde. Ich würde diesen Plan aber nicht verfolgen, wenn Alberto mir nicht zuvor gesagt hätte, Mamma Volpi sei eine der interessantesten Frauen Mandlicas und vollkommen gesund. Sie war einmal Schulleiterin, und sie soll die sizilianische Literatur der Vergangenheit so gut kennen wie niemand sonst in Mandlica.)

    Paula ist sehr tüchtig. Tagsüber begegne ich ihr immer wieder. Sie führt in Marias Abwesenheit ein relativ offenes Haus, jedenfalls wird die Klingel sehr häufig betätigt, und ich höre immer wieder Stimmen aus dem Innenhof.
Sie fertigt die Besucher aber keineswegs ab (wie ich irrtümlich vermutet habe), sondern nimmt sich anscheinend viel Zeit für sie. Dann und wann sehe ich auch Handwerker, die den Innenhof vermessen. Anscheinend

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