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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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auf die kleine Klingel, die auf dem Rezeptionstisch befestigt ist.

    Die Frau, die auf das Geräusch der Klingel hin erscheint, ist beinahe so groß wie ich. Sie ist blond und, wie ich schätze, etwa in meinem Alter. Sie schaut mich von oben bis unten an und lächelt, als amüsierte sie sich über irgendwelche Details meines Aussehens oder meiner Kleidung. Was gibt es denn zu lächeln? Ich trage ein weißes, offenes Hemd mit langen Armen und eine beige Leinenhose, dazu ein Paar hellblaue Schuhe aus Segeltuch, natürlich ohne Strümpfe. Ich würde sie gerne fragen, warum sie lächelt, doch es geht nicht, ich habe wieder meinen kleinen Anfall von Scheu und Zurückhaltung. Nicht einmal ein paar erste freundliche Worte bringe ich heraus, ich grüße nur kurz.

    Die Blonde aber grüßt zurück und wechselt aus dem Italienischen dann sofort ins Deutsche. Ich bin so erstaunt,
dass mir nur eine kleinlaute Erwiderung gelingt, das stört sie aber keineswegs, vielmehr erzählt sie sofort, dass sie seit beinahe fünfzehn Jahren in Mandlica lebe und aus dem tiefsten Bayern hierhergekommen sei. Ich sollte nun fragen, was sie aus dem tiefsten Bayern nach Mandlica verschlagen habe, doch ich bin einfach zu durcheinander. Zu keinem Zeitpunkt meiner Vorbereitungen auf diese Reise habe ich damit gerechnet, dass die Besitzerin dieser Pension eine Deutsche sein könnte. (Hat sie etwa einen Sizilianer geheiratet? Lebt sie deshalb hier? Und wenn ja – haben die beiden etwa auch Kinder?)
    Ich stehe etwas hilflos da und halte die Tasche mit den wichtigsten Wertsachen in meiner Rechten. Die Blonde aber macht einfach weiter und beginnt ein kurzes Frage-und Antwort-Spiel.
    – Wo haben Sie Ihren Wagen geparkt?
    – Oben auf dem großen Parkplatz.
    – Sehr gut, das ist der beste Platz zum Parken. Und Ihr Gepäck?
    – Ist noch im Auto.
    – Und Ihre Frau?
    – Ich bin allein unterwegs.
    – Sie sind nicht verheiratet?
    – Ich bin allein unterwegs.
    – Aber Sie haben doch ein Doppelzimmer gebucht, oder etwa nicht?
    – Doch, ja, ich brauche Platz für meine Arbeit.
    – Sie wollen hier arbeiten?
    – Ja, das werde ich.
    – Sind Sie ein Journalist?
    – Nein, ich bin Ethnologe.
    – Aha, Ethnologe.

    Sie ist anscheinend nicht gerade begeistert von meinen knappen Antworten, das ist klar, aber ich kann ihr in diesen ersten Momenten unseres Kennenlernens nicht weiter entgegenkommen. Eine unerklärliche Befangenheit lässt mich in solchen Szenen immer kleinlauter werden, weil ich ein so zielstrebiges Fragen als ein Ausfragen empfinde. Während eines solchen Ausfragens habe ich nicht die geringste Chance, etwas zurückzufragen, so dass das Gespräch nicht ebenbürtig verläuft. Stattdessen gebe ich in solchen Gesprächen lauter matte und meist hirnlose Antworten und gebe dabei auch noch oft etwas Persönliches von mir preis, was ich eigentlich gar nicht preisgeben möchte.

    So ist etwa die Frage, ob ich verheiratet bin , eine Frage, die ich nicht gerne beantworte. Manchmal habe ich sie bereits mit ja , in anderen Fällen aber auch mit nein beantwortet. Diese Frage fällt dreist und direkt über mich her und lässt mich die merkwürdigsten Lebenskonstellationen erfinden: Ich bin verheiratet, lebe aber getrennt. Ich bin nicht mehr verheiratet, lebe aber noch mit meiner Frau zusammen. Ich bin nicht verheiratet, war aber einmal verheiratet. Einige Stunden nach solchen Auskünften habe ich dann oft vergessen, was ich auf die Frage nach meinem Verheiratetsein kurz zuvor noch geantwortet habe. Kommt das Gespräch dann aber zufällig wieder auf das Thema Heirat, gerät alles durcheinander, es sei
denn, es gelingt mir, von diesem Thema abzulenken und zu einem anderen zu wechseln.

    Die blonde Besitzerin der Pension führt mich dann eine schmale Wendeltreppe hinauf, die vom schattigen Innenhof in den obersten Stock führt. Sie öffnet eine Zimmertür und zeigt mir mein Zimmer, sie macht einen Rundgang mit mir durch den hellen und freundlich erscheinenden Raum, durch dessen Fenster man auf die Dächer der Oberstadt blickt. Dann schaut sie mich an, sie wartet darauf, dass ich endlich etwas sage. Ich räuspere mich und tue ihr endlich den Gefallen.

    – Das Zimmer gefällt mir.
    – Oh, das freut mich.
    – Noch ein wenig mehr Platz wäre allerdings nicht schlecht.
    – Noch mehr Platz? Das Zimmer ist beinahe zwanzig Quadratmeter groß.
    – Ja, es ist in Ordnung und für den Normalfall auch groß genug.
    – Sie sind kein Normalfall?
    – Nein, ich bin nicht

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