Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)
immens wichtige Rolle spielt. Es ist jetzt vier Wochen her, dass Felicity vermisst gemeldet wurde, und vor zwei Wochen wurde der Leichnam …«
»Eine halbe Stunde, Paul! Mehr nicht! Ich will genauso wenig wie Sie, dass Daniel weiter mauert, denn wir wissen beide, wie das endet. Es ist im Interesse aller Beteiligten, dass er mit mir redet, dass er mir vertraut. Im Moment ist er müde und verängstigt und …«
Diesmal war es Mathers, der näher an ihn herantrat. »Meinen Sie, es kümmert mich, wie verängstigt er ist? Glauben Sie, es interessiert mich einen Dreck, ob er eine schlaflose Nacht hatte?« Er drückte Leo eine Fingerspitze auf die Brust. »Was glauben Sie, wie viel Schlaf ich letzte Nacht bekommen habe? Oder vorletzte? Oder die zehn, fünfzehn davor? Was glauben Sie, wie viel Schlaf die Forbes bekommen haben oder jeder andere Officer, der mit diesem Fall zu tun hat?«
»Hören Sie, Paul, ich meinte doch nur, dass …«
»Sie haben verdammt recht damit, dass wir die Wahrheit kennen, Mr. Curtice. Sie haben verdammt recht, dass wir den Mörder gefasst haben, und die Welt hat ein Recht, das zu erfahren. So sehe ich das.« Der Detective Inspector schwieg kurz – ein herausforderndes Schweigen, wie es schien; Leo hätte die Lücke füllen können.
Er sagte nichts.
»Nehmen Sie sich meinetwegen Ihre halbe Stunde«, sagte der Inspector mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Mal sehen, mit was für einer Geschichte Sie dann aufwarten. Aber versuchen Sie ja nicht, mich zu verarschen. Es ist nicht Ihre Aufgabe, der Welt einen Gefallen zu tun. Sie stehen auf der Seite von niemandem, nur auf Ihrer eigenen.«
Sie waren wieder genau da, wo sie angefangen hatten, zumindest kam es Leo so vor. Diesmal hielt er sich jedoch nicht zurück und trommelte mit den Fingern auf dem Tisch.
»Daniel?« Leo beobachtete ihn, wartete. »Daniel, bitte. Man wird dich anklagen. Das verstehst du doch, oder? Du verstehst, was ich dir gesagt habe, ja? Wenn du nicht selbst deine Version der Ereignisse schilderst, dann entscheiden sie selbst, was ihrer Meinung nach passiert ist.«
In sich zusammengesunken saß der Junge da. Er zuckte mit den Achseln, soweit seine Haltung das zuließ – was wenigstens Kommunikation war oder so eine Art Kommunikation.
»Was du da gerade machst – dass du dich weigerst, mit mir zu reden –, damit schneidest du dir ins eigene Fleisch. Ich dachte, das hätte ich dir klargemacht. Oder etwa nicht?« Sein Ton war nicht hilfreich, das war Leo klar, aber er konnte sich immer schwerer beherrschen. Er sah jetzt ganz unverhohlen auf die Uhr.
»Ich kann dir nicht helfen, wenn du mich nicht lässt. Und deine Eltern«, Leo deutete mit dem Kinn auf die Überwachungskamera, »die können dir auch nicht helfen.«
Diesmal ein Geräusch: irgendetwas zwischen einem Schnauben und einem Schniefen.
Leo stand auf. Er drehte sich um und fasste sich an die Stirn. Dann wandte er sich wieder Daniel zu, wollte ihn harsch anfahren, aber der Junge hatte sich aufgerichtet.
»Was …«
Leo wartete.
»Was … was ist denn dieses Dings da?« Für einen kurzen Moment sah der Junge Leo in die Augen. »Von dem die geredet haben. Das mit den Buchstaben.«
Leo schüttelte den Kopf. »DNA? Meinst du DNA?«
Der Junge verneinte nicht.
»Das ist ein genetischer …« Leo unterbrach sich. »Das sind wir. Winzige Teilchen von uns. Ein unanfecht… Es ist ein Beweismittel, Daniel. Wie Fingerabdrücke. Am Tatort werden Proben genommen und mit denen von Verdächtigen verglichen.«
»Aber das heißt nicht«, der Junge sah kurz zur Kamera hoch, »das heißt nicht, dass ich irgendwas gemacht habe.«
»Nein, nicht in dem Sinne, wie du das wohl meinst. Aber wenn nicht …«
»Außerdem hat mich keiner gesehen. Also … da gesehen. Beim … na ja, Sie wissen schon. Bei dem, was ich angeblich gemacht haben soll.«
»Nein«, sagte Leo. »Nein, das stimmt. Aber die DNA …«
»Sie war meine Freundin.«
Leo sah ihn an. »Wie bitte?«
»Sie war meine Freundin. Na ja, Sie wissen schon. Hat mich geliebt und so.«
Zehn, zwanzig, dreißig Sekunden lang gab Leo kein Geräusch von sich. »Warst du da, Daniel?«, fragte er schließlich. »Willst du das damit sagen?«
»Ich … Ja. So ungefähr.«
»So ungefähr?« Leo trat einen Schritt auf den Tisch zu. Er hielt sich an seiner Stuhllehne fest, setzte sich aber nicht. »Was ist passiert, Daniel?«
Der Junge scharrte mit den Füßen. »Wir … wir haben uns geküsst und
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