Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)
noch bekritzelt, aber vielleicht war es gerade die Abwesenheit von irgendetwas zum Anstarren, die Daniel weiter darauf starren ließ. Leo musste an seinen ersten Eindruck von dem Jungen denken: dass Daniel trotz allem schüchtern wirkte, fast schon ängstlich – überhaupt nicht wie ein Mörder.
»Du könntest mir alles Mögliche erzählen, zum Beispiel, keine Ahnung, dass du eine Bank ausgeraubt hast. Die NatWest an der Hauptstraße vielleicht. Das könntest du mir erzählen, und ich müsste es geheim halten. Oder dass du ein Auto gestohlen hast. Sagen wir, einen Porsche. Einen Lexus. Du …« Leo wollte weiterreden, aber irgendetwas an dem Jungen ließ ihn innehalten. Er hatte sich bewegt. Wirklich?
»Was?«, fragte Leo.
Er wartete. Was, wollte er noch einmal fragen, aber der Junge war schneller.
»Nie im Leben«, sagte er.
Leo widerstand dem Impuls, sich vorzubeugen. »Nie im Leben? Was meinst du, nie im Leben?«
»Ich würd nie im Leben einen Lexus klauen.«
Leo schluckte, nickte. »Na schön. Dann eben einen Porsche. Würdest du also …« einen Porsche klauen, hatte er fragen wollen, aber das Wort, die direkte Frage, erschien ihm unpassend. »Wie wäre es also mit einem Porsche?«
Daniel zuckte mit den Achseln.
»Auch keinen Porsche?« Leo schüttelte langsam den Kopf. »Du bist ja ganz schön anspruchsvoll, Mann.« Und das brachte ihm ein kurzes Zucken von Daniels blassen, gesprungenen Lippen ein. Das »Mann«, hätte Leo wetten können.
»Was würdest du also fahren? Freie Auswahl. Stell dir vor, du stehst auf einem Hof mit allen Autos, die je gebaut wurden, und darfst dir eins aussuchen. Welches würdest du nehmen?«
»Subaru Impreza«, sagte der Junge wie aus der Pistole geschossen.
Leo nickte noch einmal. »In Blau, stimmt’s? Wie …« Wie wer? Dieser Rallyefahrer. Der Schotte. Oder war der Ire? »McCrae.« Es fiel ihm wieder ein. »Colin McCrae.«
Aber Daniel murrte nur. »In Weiß«, sagte er. Er schien nachzudenken, dann nickte er. »Ja, weiß.« Er warf Leo einen kurzen, verschämten Blick zu. Leo nahm die Zeichnung vom Tisch und zerknüllte sie.
»Nur noch eine halbe Stunde.«
Detective Inspector Mathers ging unbeirrt weiter. Leo hatte Mühe, Schritt zu halten.
»Bitte, Inspector. Er redet mit mir.«
»Er hat Ihnen erzählt – was war das noch mal, Mr. Curtice? Welchen Wagen er am liebsten stehlen würde. Und was meinen Sie, was als Nächstes kommt? Sein liebster Serienmörder? Seine Top Ten der Völkermorde?«
»Das war nicht so, wie …« Leo ließ sich zurückfallen, um einer geschlossenen Front von Uniformierten auszuweichen. Auf der Höhe einer Feuertür holte er den Inspector wieder ein. »Es geht doch darum, dass er überhaupt etwas gesagt hat, Inspector. Das erste Wort seit siebzehn Stunden. Das ist ein Fortschritt, finden Sie nicht?«
»Tut mir leid, Mr. Curtice.« Mathers blieb unvermittelt stehen, und Leos Sohlen quietschten. »Aber auf diese Art von Fortschritt kann ich verzichten. Entweder er zeigt sich jetzt kooperativ, oder wir erheben gleich die Anklage gegen ihn.«
»Bitte, Inspector, nur eine halbe Stunde. Mehr nicht. Was ist schon eine halbe Stunde, wenn Sie sowieso schon herausposaunt haben, Sie hätten den Mörder gefasst?«
»Nun machen Sie aber mal halblang, Mr. Curtice. Wir haben bloß …«
»Ach nein? Sollen wir mal die Meute vor dem Eingang fragen, wie sie Ihre Ankündigung verstanden hat?«
Der Detective Inspector, dessen feine Gesichtszüge viel zu rot waren für die Jahreszeit, schürzte die Lippen, so als würde er ein Bonbon lutschen.
Leo trat näher an ihn heran. »Reden Sie Klartext mit mir, Mr. Mathers, dann tue ich das auch mit Ihnen. Dieser Junge, mein Klient: Wir kennen doch beide die Wahrheit. Sie haben DNA-Spuren, die sich als passend erweisen werden, und Sie haben einen Zeugen – einen rechtschaffenen Doktoranden –, der gesehen hat, wie er vom Tatort weggerannt ist. Er war es. Wir wissen doch beide, dass er es war.«
Der Polizist konnte sein Frohlocken nicht ganz verbergen.
»Aber wir wissen nicht, wie es passiert ist«, sagte Leo. »Und das werden wir auch erst erfahren, wenn Daniel mit uns redet. Wäre es nicht einfacher – für mich und meinen Mandanten sicherlich, ja, aber auch für Ihre Ermittlungen –, wenn ihn jemand dazu bewegen könnte, dass er sich öffnet? Dass er selbst schildert, was passiert ist?«
»Mr. Curtice. Ich brauche Sie wohl kaum daran zu erinnern, dass Zeit in dieser Ermittlung eine
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