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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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Blake.«
    Wieder nickte Leo. Er sah zur Uhr an der Wand, dann nahm er seine Aktentasche und stand auf. »Ich muss los, die Pflicht ruft.« Er deutete zum Fenster, auf das Rinnsal von Schülern, das jetzt zu einem Strom anschwoll. »Ich nehme an, Ihre ebenfalls. Vielen Dank für Ihre Zeit, Ms. Bridgwater.«
    Die Schulleiterin drückte sich am Schreibtisch ab und stand ebenfalls auf. »Bitte richten Sie Eleanor meine besten Wünsche aus. Sie soll sich natürlich so viel Zeit nehmen, wie sie braucht, um sich von dieser Tortur zu erholen.«
    »Danke, das werde ich.« Leo schüttelte die Hand, die ihm die Frau entgegenstreckte. Er nickte, wandte sich zur Tür und drückte dagegen, bis er merkte, dass er ziehen musste. Langsam ging er durch den Flur, und auf der Treppe zwang ihn die Schülerflut, noch langsamer zu gehen. Erst auf dem Parkplatz wurde ihm klar, was Ms. Bridgwater soeben erreicht hatte. Jetzt hatte sie die Bestätigung. Einen Namen, den sie ihren Kollegen zum Fraß vorwerfen konnte, und zweifelsohne einiges Ansehen, weil sie ihm diesen Namen entlockt hatte. Also eigentlich alles, was sie sich erhofft hatte.
    Manche Kinder sind von Grund auf böse. Hatte das die Schulleiterin nicht so gesagt? Sie sind im Kern verdorben, und niemand kann etwas dagegen tun. Die Lehrer haben ihr Bestes versucht. Die Eltern auch. Es ist ja nicht so, als hätte man dem Jungen keine Chance gegeben. Als hätte man ihm nicht klarzumachen versucht, was richtig und was falsch ist. Wie soll man es also sonst erklären? Er ist von Grund auf böse, Mr. Curtice. So ist es. Ende, aus, Fall erledigt.

8
    F all erledigt. Stimmt doch, oder?«
    Leo sah von seiner geöffneten Aktentasche hoch. Daniels Stiefvater war der Einzige, der stand, die Füße hüftbreit nebeneinander und die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Frau Stephanie saß rechts neben Leo, den Stuhl so weit vom Tisch abgerückt, wie es die Wand hinter ihr zuließ, das Kinn etwas vorgestreckt und die rotgeweinten Augen auf den Boden gerichtet. Daniel ihr gegenüber blickte auf seine Knie. Seine Hände klemmten dazwischen, und seine Schultern waren eingezogen. Er wirkte dünn und zerbrechlich – wobei wohl jedes wilde Tier in einem Käfig so wirken würde, sagte sich Leo.
    »Stimmt doch, oder?«, wiederholte Blake. »Klare Sache, wenn Sie mich fragen.«
    Leo nahm seine Akten heraus und stellte die Tasche neben seine Füße. »So einfach ist das nicht, Mr. Blake. Es geht mit gewissen Risiken einher, genau wie alle anderen Optionen auch.«
    Blake tat sein Unverständnis durch ein Schnauben kund.
    »Das Urteil«, sagte Leo. Er sah kurz den Jungen an. »Wenn diese Argumentation zurückgewiesen wird, könnte das Urteil trotzdem ziemlich hart ausfallen.«
    »Hart? Wie hart denn?«
    Leo sah noch einmal Daniel an.
    »So oder so«, sagte Blake mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Es ist das Beste, was er tun kann, und darum geht es ja. Das wollen Sie doch damit sagen, oder nicht?«
    »Nicht unbedingt. Ich versuche Ihnen im Moment nur einige der Möglichkeiten darzu…«
    »Ich hab keinen Schaden.«
    Sie sahen den Jungen an. Es war nur ein Flüstern gewesen. Seine Miene war so niedergeschlagen wie seine ganze Haltung.
    »Das sagt ja auch keiner, Daniel. Wir würden einfach nur so argumentieren, dass du für dein Handeln keine Verantwortung übernehmen kannst, und zwar aufgrund der Tatsache …«
    »Wie würdest du es denn sonst nennen?«, unterbrach ihn Daniels Stiefvater. »Warum macht man denn so was, außer wenn man einen Schaden hat?«
    Daniels Mutter wimmerte.
    »Mr. Blake«, sagte Leo. »Bitte.«
    »Na, warum denn?« Der Mann ließ nicht locker: »Na? Warum?« Er beugte sich zu seinem Stiefsohn hinunter, aber nicht, soweit Leo das sehen konnte, so dicht, wie er gekonnt hätte. Als Daniel aufsah – elend und auch voller Angst, Letztere allerdings gezügelt durch seinen offensichtlichen Unmut –, wich Blake ein Stück zurück. Er tarnte seinen Rückzug durch ein Murren. »Keinen Schaden«, sagt er. »Als wäre dann wieder alles in Butter. Als würde irgendwer schlechter über ihn denken, wenn er in der Klapse landet statt im Gefängnis.«
    »Mr. Blake …«
    »Jetzt rede doch verdammt noch mal mit deinem Sohn, Steph. Herrgott, nun sitz doch nicht einfach nur da rum.«
    Doch genau das tat Daniels Mutter.
    »Du hast gesehen, was vor dem Gericht los war«, fuhr Blake fort. »Wenn er in den Knast wandert, machen die ihn fertig. Frag doch deinen Ex, frag Daniels Vater: Der

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