Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)
»… aufgebracht war.«
»Keineswegs, Mr. Curtice. Sie haben jedes Recht, aufgebracht zu sein. Ich habe selbst Kinder und kann mir nur zu gut vorstellen, wie viel Sorge Ihnen dieser Vorfall bereiten muss.«
»Ja, gut. Danke.«
»Und dann kommt für Sie ja noch der Druck bei der Arbeit dazu«, schob Ms. Bridgwater hinterher.
»Bei der Arbeit?«
Ach, kommen Sie schon, aber das sagte die Schulleiterin nicht. »Der Fall, Mr. Curtice. Der Fall Forbes.«
»Ach so, ja.«
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie so direkt darauf anspreche, aber na ja.« Ms. Bridgwater lächelte verkniffen. »Ich habe Sie in den Nachrichten gesehen. Sie sind ja jetzt hier im Ort so etwas wie eine Berühmtheit.«
Leo lachte verlegen. »Ach, so weit würde ich nicht gehen.«
»Seien Sie doch nicht so bescheiden, Mr. Curtice. Und außerdem …« Das Lächeln der Schulleiterin wurde überbreit. »Wenn man in meiner Position ist und die Arbeit macht, die ich hier mache, interessiert man sich einfach für solche Angelegenheiten.« Sie nahm die Hände aus dem Schoß und legte sie auf den Schreibtisch.
Diesmal begegnete ihr Leo mit einer finsteren Miene. »Ms. Bridgwater. Sie verstehen doch sicher, dass ich darüber …«
»Oh bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, Mr. Curtice. Ich würde Sie nicht im Traum in Verlegenheit bringen wollen. Mein Interesse gilt auch weniger dem Fall selbst. Mehr dem Jungen. Dem Angeklagten.«
Leo wollte aufstehen. »Tut mir leid, aber ich fühle mich wirklich nicht wohl dabei …«
Die Schulleiterin beugte sich über den Tisch und streckte beschwichtigend die Hand nach Leo aus. »Ich dachte nur, ich könnte Ihnen vielleicht helfen. Weiter nichts. Ich dachte, ich könnte Ihnen vielleicht die eine oder andere nützliche Information zukommen lassen – nicht andersherum.«
Leo ließ sich in seinen Stuhl sinken. »Sie mir?«
Die Schulleiterin legte den Kopf schräg. »Der Junge«, sagte sie und hob dann schnell die Hand, vielleicht weil sie merkte, wie Leo sich versteifte. »Ich weiß, ich weiß, seine Identität ist geheim. Aber wir leben in einer kleinen Stadt, Mr. Curtice. Es gibt nicht so viele Sekundarschulen und einen sehr aktiven Zweig des Schulleiterverbands. Wir tauschen uns aus, genau wie Sie sich sicher mit Ihren Kollegen austauschen.« Ms. Bridgwater lächelte erneut.
»Ja natürlich, aber …«
»Der Junge. Der Angeklagte. Wenn es der ist, von dem ich – von dem wir glauben, dass er es ist«, die Schulleiterin zuckte mit dem Lid, zwinkerte ihm fast zu, »dann könnte ich, wie gesagt, einige Dinge wissen, die Ihnen nützlich sein könnten. Er ist ja sicher nicht der kooperativste Mandant.«
Leo widerstand dem Drang, ihr zuzustimmen. »Ich weiß immer noch nicht genau, ob ich Ihnen folgen kann. Ich möchte ja nicht undankbar klingen, aber was für Informationen wollen Sie mir denn geben?«
»Er war an unserer Schule«, sagte die Schulleiterin. Und dann, als Leo widersprechen wollte: »Es ist schon etwas her, das gebe ich zu. Aber der Junge war hier, ungefähr so lange wie an den anderen Schulen.«
»Hier? Aber …« Das hier war die Schule seiner Tochter. Es war eine gute Schule. Eine öffentliche Schule, aber mit einem so guten Ruf, wie es sich Eltern nur wünschen konnten. Leo schüttelte den Kopf. »Wann denn?«
»Er hat die Sekundarstufe hier begonnen. Aber wir haben ihn nach dem ersten Halbjahr von der Schule verwiesen. Vorausgesetzt natürlich, wir reden tatsächlich von ein und demselben.« Die Schulleiterin musterte Leo. Sie ließ ihm ein paar Sekunden für eine Antwort. »Aber Sie haben ja bestimmt Zugang zu den Akten des Jungen«, sagte sie, als Leo schwieg. »Sie können die genauen Daten sicher nachschlagen.«
Ellie hatte ihn also gekannt. Nein, nicht unbedingt. Es war eine große Schule, eine der größten im County. Aber sie hatte ihn sicher gesehen. War an ihm vorbeigegangen, hatte ihn vielleicht gestreift. Er hatte sie gesehen.
»Haben Sie ihn unterrichtet?«, fragte Leo. »Warum wurde er von der Schule verwiesen?«
»In meiner Position bleiben mir die Freuden des direkten Kontakts mit den Klassen verwehrt.« Die Schulleiterin spielte mit ihrem Lippenstift. »Aber ich hatte natürlich so meine Begegnungen mit dem Jungen. Sagen wir mal, er war ein regelmäßiger Besucher hier in meinem Büro.«
»Hat er Ärger gemacht?«
»Wenn er denn mal zur Schule gekommen ist, auf jeden Fall, Mr. Curtice. Dieser Ruf war ihm schon vorausgeeilt, deshalb dachten wir, wir
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