Das Kind der Priesterin
sie ein letztes Mal, als würde ich nie mehr aufhören wollen. „Es ist reichlich spät, das jetzt noch zu fragen … trotzdem vielen Dank für die Frage.“ Ich riß mich von ihr los, solange ich noch die Willenskraft hatte, und trat an den Eingang zur Fähre.
„Ethan …“ Sie streckte die Hand nach mir aus, in der etwas lag. „Nimm das mit.“ Sie schob es mir in die Tasche und murmelte ein paar Worte in einer Sprache, die ich nicht verstand. „Damit du weißt, daß ich in Gedanken bei dir bin …“
Es mag sein, daß ich schon längst nicht mehr in ihren Gedanken war, doch mit Sicherheit war sie in meinen. Während ich mich einen halben Tag später tiefer in den Sitz des holpernden Geländewagens lehnte, bewegte ich noch einmal mein Handgelenk hin und her: Da war es noch, verborgen unter dem dicken Fausthandschuh, und bewies, daß letzte Nacht nicht ganz und gar ein Traum gewesen war ein schmales Armband aus handgetriebenem Silber, glatt vom Alter und durchwoben von einer Strähne glänzenden, ebenholzschwarzen Haares. Der Gedanke ließ mich albern lächeln; vielleicht fuhr ich auch nur fort zu lächeln, denn seit Neu-Kairo verlief die endlose, einem die Zähne lockernde Fahrt in einem Dunstschleier aus Glückseligkeit, denn ich ließ vor meinem geistigen Auge die Erinnerungen an letzte Nacht abrollen. Trotz der Tatsache, daß Faoud, mein Reiseführer, auf meine Tagträume überhaupt nicht zu achten schien, ja, nicht einmal auf meine Anwesenheit, wurde ich oder jemand in meinem Kopf rot. Ich warf einen Blick zu ihm hinüber, auf seine Wangen, die auf beiden Seiten gleichmäßig über den Halsring seines Druckanzuges quollen, auf sein Haar, das mit Hilfe von sehr viel Pomade zu einer Tolle gekämmt war, wie sie schon seit gut zehn Jahren nicht mehr der Mode entsprach. Das Radio knatterte und zischte und plärrte traditionelle arabische Musik heraus – die Art, die ETHANAC wegen des subtilen Verschleifens der Töne gefällt, die in mir aber nach einem Jahr immer noch den Wunsch erweckt, taub zu sein. Faoud ließ von Zeit zu Zeit sein Kaugummi zerplatzen und lachte zufrieden vor sich hin. Er schien ein gutmütiger Mensch zu sein, der Reiseagent hatte ihn mir jedenfalls ausdrücklich empfohlen; aber ich sah ihm an, daß er mich für verrückt hielt.
Vielleicht hatte er nicht einmal unrecht. Ich blickte an der Isolierjacke hinunter, an deren Stelle ich eigentlich einen Druckanzug tragen müßte, doch die Mönche von Debre Damo duldeten nicht, daß man sich mit technischen Mitteln erträgliche Lebensbedingungen verschaffte. Ich hatte mir ein Atemgerät besorgt, das selbst die Puristen brauchten, das mir aber immer noch das Gefühl geben würde, mich unten auf der Erde auf einem dreitausend Meter hohen Berg zu befinden – eine Aussicht, die mir nicht gerade rosig erschien.
Mit Hilfe von Hanas Hintergrundinformation und ETHANACS besonderen Fähigkeiten hatte ich es fertiggebracht, eine Begründung für die Notwendigkeit meines sofortigen Rückzugs in die „natürliche“ Umgebung des verpflanzten Debre Damo zu zimmern. Aber der Reiseagent hatte mich nachdrücklich darauf hingewiesen, daß ich mein Gesicht nicht durch die Tür bekommen würde, wenn es hinter Helmglas versteckt wäre. Die Regeln wären sehr streng. Ich konnte es kaum glauben, daß ein einflußreicher Kapitalist sich jemals freiwillig ein derartiges Asketentum auferlegen würde, von Khorram Kabir ganz zu schweigen, der sich allem Anschein nach dort schon seit Jahren aufhielt. Doch so war es; und andere auch, wie meine privaten Nachforschungen ergeben hatten. War es möglich, daß sie dorthin kamen, um insgeheim mit ihm zu konferieren …? Ich fragte mich, ob das die Dinge leichter oder schwerer machte. Ein weiteres interessantes Detail, auf das ich bei meinen Grabungen gestoßen war, bestand in der Tatsache, daß die Mönche vor rund dreizehn Jahren von der Erde hierher gekommen waren – und daß das Land, auf welchem das Kloster stand, Khorram Kabir gehörte. Was eine ganze Reihe von Dingen bedeuten konnte, jedes einzelne wert, nicht vergessen zu werden.
Der Geländewagen mit den Ballonreifen hüpfte wie ein Känguruh, als wir über etwas Hartes fuhren. Faoud ließ sich durch nichts zurückhalten, auch nicht von meiner Neigung zu Übelkeit bei zu heftiger Bewegung. Ich starrte verzweifelt aus dem Fenster und sah, wie wir aus der vom Wagen aufgewirbelten Staubwolke in ein Gelände eintauchten, in dem hausgroße rote und mit schwarzem Ruß
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