Das Kind der Priesterin
gesprenkelte Felsblöcke herumlagen. Sie erinnerten mich an ausgebrannte Ruinen im Krieg, eine mich noch zusätzlich deprimierende Vorstellung. Um die Polkappen des Mars aufzutauen und nicht wieder einfrieren zu lassen – zur Nutzbarmachung der ganzen verfügbaren Atmosphäre –, waren die Menschen gezwungen, über die Polgebiete ständig Material mit geringer Albedo zu verteilen. Indem sie auf ihre schillernde Vergangenheit zurückgriffen, war den Kolonisten die Idee zu der billigsten und zugleich verläßlichsten Quelle für diese Art Material gekommen: Industrielle Umweltverschmutzung. Wenn die Marsbewohner sagen, „Umweltverschmutzung ist unser wichtigstes Erzeugnis“, dann ist das kein Witz. Die Amerikaner im Norden, die Araber und ihre Freunde im Süden, sie alle veredeln Metalle, die zur Erde transportiert werden sollen, auf die schmutzigste Art und Weise, die man sich nur vorstellen kann – und das Produkt spielt gegenüber dem Prozeß stets eine sekundäre Rolle.
Obgleich ich die Tatsache anerkenne, daß die Kolonien ohne die Verschmutzung der Umwelt niemals überleben würden und ohne die Kolonien ich natürlich auch nicht, habe ich meine erdgebundene Haltung gegenüber der Zerstörung der Natur noch nicht abgeschüttelt. Ich bin nicht gerade ein glühender Veggie, aber doch froh, daß ich den Südpol nicht sehr oft besuchen muß.
Ich tätschelte ETHANACS Kasten, um uns alle zu beruhigen. Während ich die Zeit in Gedanken an Hana zugebracht hatte, war er das unvollkommene Informationsband durchgegangen, das ich über Ge’ez hatte auftreiben können, jener von den Mönchen benutzten Sprache, und hatte einen linguistischen Vergleich mit dem Arabischen angestellt, an das es erinnert. Ich ließ seine Analyse in mein Bewußtsein tröpfeln und sich dort festsetzen, damit ich sie jederzeit abrufbereit hätte. Es ist schön, wenn man schnell lernt.
„Da ist es, Hadschi …“ Faoud nannte jeden Hadschi, was eine Art Kreuzung zwischen „Geistlicher“ und „mein Gott“ darstellt. Er deutete über das Armaturenbrett hinaus auf den flachen, rußigen Kratergrund vor uns.
Ich sah pflichtschuldig in die von ihm gewiesene Richtung, in der Erwartung, vor uns einen einsamen, unzugänglichen Felsgipfel aufsteigen zu sehen, zumal Debre Damo heiliger Berg bedeutet und die Mönche auf der Erde ihren Zufluchtsort auf einem solchen gegründet hatten. Aber statt dessen sah ich lediglich, daß wir kurz davor standen, in den Abgrund zu stürzen, der sich plötzlich in der Ebene vor uns aufgetan hatte. „Paß auf das Loch auf!“
Faoud lächelte mir mit jener freundlichen Toleranz zu, die man sich gemeinhin für die geistig Behinderten aufspart. „Genau da ist es, Hadschi. Das Kloster liegt da unten.“
Ich beobachtete mit weit aufgerissenen Augen, wie wir uns mit einer Geschwindigkeit von zehn Metern pro Sekunde auf die Katastrophe zubewegten, und fragte mich, ob er wirklich beabsichtigte, uns über die Klippe zu fahren. Doch in der absolut letzten Sekunde fielen ihm die Bremsen ein, und wir rutschten in einer Wolke von unangenehmem Staub zum Stehen.
Der Staub legte sich auf die ganze Windschutzscheibe, und erst, als wir Helm und Sauerstoffmaske aufgesetzt und aus dem Wagen gestiegen waren, bemerkte ich, daß uns tatsächlich jemand erwartete. Die Gestalt war in grobe Stoffe gehüllt und staubbedeckt und erinnerte in erster Linie an einen Götzen aus Schlamm; doch nachdem ich verschiedene andere Möglichkeiten ausgeschlossen hatte, kam ich zu der Überzeugung, daß es sich bei ihr um ein Begrüßungskomitee der Mönche handeln mußte. Als wir nähertraten, sah ich hinter ihr die gewaltige Tiefe der Felsspalte unheimlich glühen: Heilige Ausstrahlung? Obgleich ich Agnostiker bin, war ich doch beeindruckt.
Faoud und der Mönch begrüßten sich auf Ge’ez. Ich hörte zu, bemüht, ein Gefühl für die neue Sprache zu bekommen … Zugleich versuchte ich mir einzureden, daß ich nicht kurz davor war zu ersticken, was meine Aufmerksamkeit einigermaßen verringerte. Wenn der atmosphärische Druck nur etwa ein Zehntel des auf der Erde normalen beträgt, dann läßt selbst reiner Sauerstoff noch einige Wünsche offen. Ich keuchte höflich, als Faoud mich durch Gesten dem Mönch vorstellte. Sein Name lautete grob übersetzt Bruder Wohlstand. Er nickte unergründlich, die dunklen Augen über der Sauerstoffmaske zusammengekniffen, und zeigte argwöhnisch auf ETHANACS Kasten, den ich mir über die Schulter geworfen hatte.
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