Das Kind der Priesterin
als ich mich schließlich über die brachliegenden Felder des Klosters zu dem durchsichtigen Kuppelbau durchgekämpft hatte, der die Klostergebäude beherbergte, herrschte in der ganzen Felsspalte pechschwarze Finsternis, und ich war bereit, um Zuflucht zu bitten.
Die Mönche nahmen mich an der Druckschleuse wie den Verlorenen Sohn in Empfang; der Kuppelbau stand nicht unter Druck, aber die Atmosphäre in seinem Inneren bestand wenigstens aus reinem Sauerstoff. Sie führten mich bei Kerzenlicht über einen Hühnerhof, so jedenfalls roch es, gaben mir einen Napf mit heißem Haferschleim und brachten mich für die Nacht in einer winzigen Hütte unter. Ich hatte sehr merkwürdige Träume.
In der Dunkelheit des frühen Morgens erwachte Yarrow von Gesang und Glockengeläut und fragte sich mit Recht, was um alles in der Welt mit uns passiert war. Nachdem es uns wieder eingefallen war, lag ich in der kalten Finsternis auf der harten Pritsche, eingewickelt in grobe Decken, und versuchte, mich an das Warum zu erinnern. Wodurch mir nur wieder einfiel, wo und mit wem ich die vorhergegangene Nacht verbracht hatte, und es dauerte eine Weile, ehe ich mich wieder auf das Thema konzentrieren konnte … Und das lautete, daß ich hier war, um mich mit Khorram Kabirs Computer kurzzuschließen, und zwar im Namen des Rechts, das Unterpfand der Dame meines Herzens schmückend am Handgelenk – und das alles erschien mir auf einmal völlig absurd. Die Dame meines Herzens, eine halbe Zigeunerin. Und eine Ethno-Historikerin, wie sie behauptet hatte. Jemand, der sich auf das Studium sogenannter „primitiver“ Zauberriten spezialisierte. Voodoo, Hexen … Liebeszauber auch? „Damit du weißt, daß ich in Gedanken bei dir bin“ … War es möglich? Sollte ich verhext sein …?
Natürlich nicht. Ich tastete nach der Streichholzschachtel und entzündete umständlich eine sauerstoffhelle Kerze gegen die Dunkelheit. Was für eine Art Rückschritt war ich eigentlich? Es war wissenschaftlich nachgewiesen, daß Haare und abgeschnittene Fingernägel keine Zauberkräfte besaßen. Alles spielte sich im Kopf des Betrachters ab. Meine Gedanken sind frei, verdammt! Wenn ich nicht in der Lage war, aus ganz und gar eigenen Kräften in diese groteske Situation zu geraten, dann war ich es nicht wert, ein Mann genannt zu werden …
Nach einem bescheidenen Frühstück wurde ich zum Abt gebracht, einem kleinen, lebhaften Mann mit ausladenden Gesten, der dankbar meine Schuldscheine annahm, viel auf arabisch und nur wenig auf englisch redete und mich in beiden Sprachen willkommen hieß. Khorram Kabir wurde allerdings nicht erwähnt. Allem Anschein nach konnte ich nach Belieben essen, schlafen und beten, nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge. Wenn ich wollte, würde man mich sogar in ein Loch hinablassen, wo ich in Ruhe meditieren könnte. Ich lehnte ab. Die Mönche hatten ihre täglichen Rituale; ich wurde ermuntert, daran teilzunehmen, unter der Bedingung, daß ich nicht störte. Ich ertappte mich bei der Frage, ob Khorram Kabir wohl teilnahm. Es war kaum zu glauben, um es milde auszudrücken, daß er die Kontrolle über sein Imperium von einem Ort wie diesem hier ausüben konnte, der, soweit ich festzustellen vermochte, genauso weltabgeschieden war, wie dies von ihm behauptet wurde. In den arabischen Territorien wurde ein Mann, der das weltliche Leben aufgab und sich einer religiösen Sekte anschloß, als Unperson angesehen; er brauchte keine Steuern zu zahlen und hatte keine Schulden (eine Tatsache, ganz dazu angetan, die Zahl der Neuzugänge auf einer gewissen Höhe zu halten) – ja, sein Körper an sich wurde für tot erklärt. Mehr als ein Gerücht, welches mir zu Ohren gekommen war, besagte, daß Khorram Kabir entweder tot oder senil war, was für einen Mann in seiner Position mit Sicherheit kein Fünkchen vorteilhafter sein konnte … es sei denn, der Anschluß befand sich tatsächlich hier. Mit plötzlicher Begeisterung zog ich mir den Mantel über die kratzenden Kleider und ging mit nachdenklichem Gesicht davon.
Als das durch den Herbst verspätete Sonnenlicht endlich in den Canyon schwappte, stellte ich mir im Geist mit ETHANACS Unterstützung einen Lageplan von allem, was sich in dem Kuppelbau befand, zusammen. Das erwies sich als komplizierter, als ich erwartet hatte: Die Anlage war buchstäblich ein Irrgarten aus Unteranlagen und Hütten, die irgendein geistig gestörter Gigant aus dem hier vorkommenden Gestein aufgetürmt und durch
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