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Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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sehen. Sie gingen in die Kirche und kamen nicht wieder heraus. Die Kirche … das einzige Gebäude, das ich nicht vollständig hatte erforschen können, da es ja für den Uneingeweihten verboten war …
    Was ganz ohne Zweifel der Punkt war. Ich war ein bißchen beleidigt. Und was war mit Kabir? War es möglich, daß er der mitternächtliche Besucher war? Daß dieses Kloster nur eine weitere falsche Front war, daß er nur herkam, um seine Post abzuholen? Und um sein Computernetz zu Rate zu ziehen: Was sonst sollte es zu bedeuten haben, daß er zu dieser Nachtstunde in ein Kloster geschlichen kam? Ich hätte wetten mögen, daß er nicht gekommen war, um für die Vergebung seiner Sünden zu beten.
    Ich drückte mich an die Wand und wartete darauf, daß er sein Geschäft beenden würde, damit ich meins beenden könnte … und wartete und wartete. Die Mönche mußten eine Art Sonnenbatterie besitzen, die sie davor bewahrte, sich nachts zu Tode zu frieren; ich wünschte, sie wären damit etwas mildtätiger umgegangen.
    Doch schließlich wurde meine Ungeduld belohnt: Die Gestalt im Druckanzug und ihre Eskorte, eingehüllt in flackernden Kerzenschein, kamen aus der Kirche und gingen über den Platz; aber nicht in Richtung Luftschleuse. Anscheinend mußte er erst noch seine Post lesen. Ich fragte mich, ob ich nicht lieber meinen besseren Instinkten folgen und wieder ins Bett gehen sollte, bis er sicher wieder weg war. Aber andererseits würde es heute nacht nur noch kälter werden; und wer weiß, wie lange er bleiben wollte?
    Deshalb huschte ich über den Platz, im wäßrigen Licht der beiden Monde düstere Schatten hinter mir herziehend. Die Hühner auf ihren Stangen schenkten mir nicht mehr Aufmerksamkeit als Kabir; vielleicht waren sie im Koma. Ich betrat die Kirche und, einmal sicher drinnen, holte die fingergroße Taschenlampe hervor, die ich in ETHANACS Kasten versteckt hatte. Und als Vorsichtsmaßnahme streichelte ich Hanas Silberarmband: Sei mit mir, Lady Luck.
    Ich knipste die Taschenlampe an und ging quer durch die Kapelle, in der ich am Abend gebetet hatte, zu der Tür hinter dem Vorhang an der gegenüberliegenden Wand. Und zögerte bei dem Gedanken, eventuell ein Sakrileg zu begehen. Die Tatsache, daß die Mönche anscheinend nichts dagegen hatten, wenn Kabir ihre geheiligten Zonen benutzte, bedeutete nicht, daß sie in meinem Fall genauso empfinden würden. Schließlich hatte er als ihr Wohltäter wahrscheinlich eine Ausnahmegenehmigung; und als jemand, der es darauf abgesehen hatte, ihn zu sabotieren, hatte ich die wahrscheinlich nicht. Aber niemand konnte bestreiten, daß meine Motive rein waren, und also war meine sittliche Haltung genauso zu rechtfertigen wie die jedes anderen.
    Ich schob den Vorhang beiseite und trat in den Raum dahinter. In der Wand gegenüber war noch eine Tür, ebenfalls mit einem Vorhang davor. Er war kunstvoller gearbeitet, und mir wurde klar, daß dies das Sanktuarium sein mußte, in dem sich die heiligen Relikte befanden, die nicht einmal alle Mönche sehen durften. Ich ließ den Lichtstrahl über die Einrichtung des Raumes, in dem ich stand, wandern, über Manuskripte auf staubigen Tischen, über Metallkreuze in feinster Filigranarbeit, Wandbilder von Heiligen und flache Bildschirme … Flache Bildschirme? Ich zog den Lichtstrahl zurück.
    Da war er also. Vor der rauhen Oberfläche der Wand am anderen Ende des Raumes, ein rechteckiger Schirm, der nur auf die Möglichkeit zu reden wartete; eine kleine, übersichtliche Bedienungskonsole darunter; ein einzelner Stuhl – ein Computeranschluß. Khorram Kabirs gesamtes Imperium lag vor mir, unbeaufsichtigt und unverdächtig … Einen Moment lang stand ich da, knetete meine von der Kälte steifen Finger und ließ meiner Phantasie freien Lauf. Und dann setzte ich mich hin und machte mich an die Arbeit.
    Der Bildschirm überspülte die zuschauenden Heiligen mit unnatürlich glühendem Licht, als ich den Terminal anschaltete. Ich steckte ETHANACS Stecker in die Konsole und ließ mich von ihm für eine Reise in dieses unglaubliche mechanische Gehirn geistig an die Hand nehmen. Er begann mit Binärzeichen und Kodeschnipseln und dem Kennwort, die er aus den Datenbanken des Xanadu gesogen hatte, und tat dabei so, als würde er Hotelgewinne einspeisen wollen, um die Aufmerksamkeit des Systems zu erregen. Ich fragte mich nebenbei, wer eigentlich die Buchführung des Xanadu eingab, da eine direkte Verbindung ja nicht bestand; Kabir persönlich

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