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Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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aufzuspüren und zu korrigieren, besitze aber absolut keinen Sinn für Stil beim Programmieren. Damit darf man mir nicht kommen; ich bin zu sehr von den Grundlagen der Maschinensprache eingenommen. Was zur Folge hat, daß, wenn ich erst einmal etwas gemacht habe, jeder andere die größte Mühe hat, mein Werk zu entwirren. Man sagt, ein Kamel sei ein von einem Komitee zusammengesetztes Pferd – nun, ich bin ein Ein-Mann-Komitee; zugleich ein Segen und ein Fluch, wie mein Chef einst zu mir sagte … Und genau dies war der Zustand der Software dieser Maschine; mag sein, daß es sich um eine Sicherheitsmaßnahme handelte. Nichts war, wo es logischerweise hingehörte, es war unter Stapeln von Daten vergraben, die nichts miteinander zu tun hatten. Man hatte das Gefühl, sich durch die Hinterzimmer im Schloß eines einsiedlerisch lebenden Abfallfetischisten zu wühlen, die bis zur Decke mit Plunder und alten Agenturmeldungen vollgestopft waren. Und irgendwie mußte ich mir da hindurch einen Tunnel zum Kontrollraum graben, zum Burgverlies, wo er seine Überwachungsprogramme aufbewahrte, die es mir gestatten würden, nach Herzenslust zu manipulieren …
    Und auf einmal stellte ich mit einem plötzlichen Triumphgefühl fest, daß mein Wunsch in Erfüllung gegangen war. Ärzte verstecken ihre Fehler, Programmierer auch, wenn sie Glück haben … aber irgend jemand mußte hier sein Glückskonto überzogen haben. Ich hatte schon verschiedene eindeutige Fehler des Systems aufgespürt, weil sie einfach zu offen zutage lagen. Doch diesmal war ich auf einen Widerspruch gestoßen, der schrecklich inkonsequent war – und ich konnte ihn dazu benutzen, die zum Überwachungsmechanismus gehörenden Einrichtungen zur Fehlerbeseitigung hervorzuholen. Man würde die Zugbrücke für mich niederlassen, mich als Edelprogrammierer ansehen, und ich wäre in …
    … großen Schwierigkeiten. Stromkreise schlossen sich, Kontakte froren ein, die Wachen drangen mit gezogenem Schwert auf mich ein … Ich hatte die Glocke geläutet. Ich war geradewegs in die Sicherheitsfalle gelaufen, und jetzt war ich …
    Wer bist du? verlangte eine unglaubliche Stimme zu wissen.
    Werde ich verrückt? Ich schüttelte den Kopf wie eine Katze, die aus der Betäubung erwacht. Habe ich etwas gehört …?
    Du bist in der Falle, Ethan Ring. Du kannst nicht entkommen. Ich habe auf dich gewartet …
    Stimmen. Jetzt wußte ich, wie die Jungfrau von Orleans sich gefühlt haben mußte.
    Sag mir, wer und was du bist …
    Mein erster Gedanke war, daß ich unabsichtlich noch ein Monstrum gezeugt haben mußte und auch dieses System irgendwie zum Leben erweckt hatte. Aber ich hatte noch nie Stimmen gehört. Sogar ETHANAC war in seinen ersten Stunden nur semi-rational gewesen … „W-wer bist du?“ dachte ich leicht herausfordernd, aber ohne es auszusprechen.
    Ich bin Khorram Kabir.
    Das war es also: ein größenwahnsinniger Computer, der glaubte, sein eigener Schöpfer zu sein … Oder vielleicht doch nicht …? War es möglich, konnte es tatsächlich stimmen? Hatte dieses verrückte System die ganze Zeit über alles mitbekommen? War es wirklich jemandem gelungen, das Unmögliche zu bewerkstelligen … nämlich ein menschliches Gehirn, eine Persönlichkeit in Software zu verwandeln …?
    Genau, sagte die selbstzufriedene Stimme in meinem Kopf; die telepathische Rede verursachte dasselbe Gefühl wie das störende Kitzeln in der Kehle, das einen aber trotzdem nicht husten läßt.
    Nun, endlich konnte ich alle Gerüchte zum Schweigen bringen. Khorram Kabir war nicht senil oder tot. O nein, er war am Leben, und es ging ihm gut, und er wohnte in einem Computer. Er war buchstäblich zur Unperson geworden, hatte sich aus der Welt zurückgezogen und seine sterbliche Hülle in der genialsten Art und Weise abgeworfen. Seine sterbliche Hülle … Wenn dies Khorram Kabir war, wer war dann der Fremde, den ich vor einer Weile gesehen hatte …?
    Und wie auf ein Stichwort sagte eine Stimme hinter mir: „Na, Mr. Ring? Was für eine freudige Überraschung.“
    Mich an diesem Punkt umzudrehen, war das Schwierigste, was ich je im Leben geleistet hatte. Weil ich bereits wußte, daß diese abgewürgte Hasenstimme nur zu einem Mann gehören konnte … Ich sah mich nach ihm um.
    Warum konnte ich nicht wenigstens einmal im Leben unrecht haben? Salad stand am anderen Ende des Raumes, den Helm in der Hand, und sein kahler Kopf glänzte genauso wie die tödliche Befriedigung in seinen Augen.
    Ich sprang

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