Das Kind der Priesterin
zu besuchen. Es hatte der ganzen Macht und des Einflusses meiner Königswürde bedurft, um der Geistlichkeit erfolgreich Trotz zu bieten, aber ich war entschlossen, selbst die Überreste des Goldenen Zeitalters zu studieren, was die Götter für einen Laien als zu schwierig – und vielleicht zu ketzerisch – erachteten. Die Priester, denen die Bücher anvertraut waren, verbrachten den größten Teil ihres Lebens mit deren Studium, angeblich durch ihren Glauben geschützt (oder, wie ich argwöhnte, durch ihre Dummheit). Ich hatte die bestmögliche Erziehung genossen, doch selbst ich mußte zu meiner Enttäuschung feststellen, daß die meisten Weisheiten aus der Zeit vor der Großen Seuche zu hoch für mich waren. Die Götter gaben mir natürlich keine Anhaltspunkte, obwohl sie Allwissenheit beanspruchten; sie bekämpften mein Recht, die geheiligten Überlieferungen zu studieren. Allerdings weigerten sie sich auch, den Priestern Belehrungen zu erteilen.
Als wir die Korridore der Götter betraten, kam uns ein grün gekleideter Priester entgegen, den ich als Bischof Perrine erkannte, den Hauptlakeien des Erzbischofs. Seine Verbeugung war kaum ausreichend, seine Lippen bewegten sich mit starrer Höflichkeit. „Majestät, Ihr könnt unmöglich diese … diese Frau da … hierherbringen! Es wäre Gotteslästerung, die heiligen Werke vor einer Heidin zu enthüllen!“
Ich lächelte duldsam und hatte den Verdacht, daß genau diese Szene nach dem üblichen Morgenzank mit dem Erzbischof insgeheim in meiner Vorstellung Gestalt angenommen hatte. „Bischof Perrine, diese Frau ist zu meiner Bewachung da. Ich bin ziemlich sicher, daß sie nicht lesen kann …“
Etaa schreckte auf, und ich sah am geschorenen Kopf des Bischofs vorbei einen der Götter selbst durch den Flur auf uns zukommen. Meinem Blick folgend, drehte sich Bischof Perrine um, und gemeinsam sanken wir auf ein Knie nieder. Zu spät bemerkte ich, daß Etaa noch aufrecht dastand und die hochragende, unmenschlich schöne Gestalt, deren Gewänder von einem überirdischen, inneren Leuchten erfüllt waren, herausfordernd musterte. Ich gab ihr ein Zeichen niederzuknien, doch sie ignorierte mich, ganz gefangen in bangem Erstaunen.
Während der Gott seinerseits die Priesterin betrachtete, wartete ich, das Knie auf dem ungewohnt harten Boden und den Kopf zurückgeworfen, bis ich einen Krampf im Nacken bekam. Endlich zeigte sich ein Ausdruck auf seinem Gesicht, der mir fast wie Anerkennung vorkam, dann erinnerte er sich an uns und gab Erlaubnis aufzustehen. Er signalisierte: Verzeiht, Majestät, daß ich Euch Unbequemlichkeiten verursacht habe, aber angesichts der Opposition habe ich mich vergessen.
Bischof Perrine fing mit Entschuldigungen an, die Hände vor nervöser Unterwürfigkeit ganz verknotet, doch der Gott hielt ihn auf. Das ist nicht nötig, Bischof Perrine – ich verstehe. Und sie ist entzückend, Majestät, ich begreife, warum man sagt, die Schwarze Hexe habe Euch verzaubert.
Ich neigte den Kopf, gleichzeitig ein Stirnrunzeln unterdrückend, und signalisierte mit geziemender Ehrerbietung: Sie ist keine Hexe, Herr, nur eine gutaussehende Frau. Ihr Glaube ist ohne Bedeutung, nichts als primitiver Aberglaube.
Es erleichtert mich, das zu hören. Seine Hände drückten leichten Spott aus, jede Bewegung war etwas zu vollendet. Etaa, kannst du die Gegenwart der wahren Götter jetzt leugnen, wo du einen vor dir siehst?
Langsam nickte sie. Du bist schön anzusehen. Aber du bist ein Mann, daher kannst du kein Gott sein. Es gibt keine Götter neben unserer Mutter. Ihr Gesicht strahlte Gelassenheit aus, die Augen glänzten in ihrem Glauben. Ich hatte oft jemanden um seinen unerschütterlichen Glauben beneidet, aber niemals mehr als jetzt. Bischof Perrine neben mir schauderte sichtlich und hielt sein Gotteszeichen fest, aber ich sah den Gott lachen. Gut gesprochen, Priesterin! Dein Glaube mag fehlgeleitet sein, doch nicht einmal ich kann seine Reinheit leugnen. Bischof Perrine, ich nehme an, Ihr habt versucht, diese Frau davon abzuhalten, hier einzutreten. Ich empfehle Euch – ich glaube, Ihr solltet sie vorbeilassen. Vielleicht tut eine weitere Bekanntschaft mit unserem Glauben ihrer Seele gut.
Bischof Perrine warf sich zu Boden, und ich sank widerwillig neben ihn, als der Gott weiterging. Und während ich Etaa zum Repositorium weiterführte, wunderte ich mich darüber, daß uns ein Gott so leutselig behandelt hatte. Ich wußte, daß die verschiedenen Götter, die
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