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Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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uns besuchten, verschiedene Verhaltensweisen wie auch verschiedene Gesichter hatten, wenn man sich einmal an ihre Herrlichkeit gewöhnt hatte. Selten jedoch waren sie Ketzern oder anderem, das die Beständigkeit ihrer Kirche bedrohte, so freundlich gesinnt.
    Etaa streifte meinen blauen Samtärmel. Meron … Sie nannte mich selten bei meinem Namen, obwohl ich es gern hatte. Wie kommt es, daß du nicht an deine eigenen Götter glaubst? Du hast sie doch dein Leben lang gesehen. Sie bewegte die Hände vorsichtig, halb versteckt durch ihre weiten, pelzbesetzten Ärmel.
    Ich erinnerte mich an die Bemerkung, die ich vor so langer Zeit in meinem Wagen gemacht hatte. Du glaubst nicht an sie, weil du sagst, daß sie wie Menschen aussehen. Unsere Schriften sagen uns, daß sie wie Menschen sind, ich aber habe sie gesehen, als sie es nicht waren. Ich erzählte ihr, was ich als Kind erlebt hatte. Was immer sie also sind, sie sind nicht die Götter der Schriften, die uns vor langer Zeit verlassen haben. Aber durch ihre Kirche kontrollieren sie das Leben meines Volkes und die Völker der angrenzenden Länder: diese … falschen Götter.
    Sie runzelte die Stirn. Erst nachdem die Götter zu euch gekommen sind, fing dein Volk an, uns zu hassen. Sind sie denn grausam, daß sie dein Volk grausam machen? Sie warf verstohlene Blicke auf die unheimlichen Darstellungen an den Wänden.
    Ich schüttelte den Kopf. Nein … sie sind nicht grausam zu uns. Aber sie verdammen auch Grausamkeiten an Nicht-Gläubigen nicht. Ich glaube, sie wollen keine Konkurrenz. Ich wandte den Blick von einer gewebten Hexenverbrennung ab. Sie haben gute und nützliche Dinge für uns getan – die wilden Kharks aus dem Land getrieben, uns zu besseren Ernten verholfen, uns gezeigt, wie man das Schüttelfieber bekämpft … sie haben es uns bequem gemacht. Zu bequem, wie ich manchmal finde. Wie wenn … als ob sie wollten, daß wir für immer hierbleiben sollten und uns damit bescheiden, nie mehr das Goldene Zeitalter zu erlangen. Und es gab ein Goldenes Zeitalter, ich habe dafür in den Bänden, die wir gleich sehen werden, Beweise gefunden.
    Bände? Bücher? Ihr Gesicht leuchtete auf vor Erwartung. Wir haben ein Buch in unserem Dorf, das ich zusammen mit den Ältesten gelesen habe; es soll aus der Segensreichen Zeit stammen, als noch alle Menschen die Berührung der Mutter kannten.
    Ihr kennt diese Legende auch? Ich blieb stehen. Dann muß sie weit verbreitet gewesen sein, womöglich auf der ganzen Welt! Denk doch, Etaa! Aber die Götter halten die Erkenntnisse, die uns übriggeblieben sind, vor jedem versteckt, der sie gebrauchen könnte. Verbitterung fesselte mir fast die Hände. Die Kirche lehrt uns ‚Demut’ – wir sollten nach nichts streben, weder das Schicksal noch die Götter versuchen, nur dem alten, ausgetretenen Pfad zur sicheren Erlösung sollen wir folgen. Sie lehrt die Menschen, den zweiten Blick, der ihnen so große Freiheit geben könnte, zu verabscheuen und ganz besonders dein Volk zu hassen, weil ihr eine Religion daraus gemacht habt. Die Götter machen es uns bequem, doch nicht, weil sie uns lieben. Verdammt sollen sie s…
    Etaa fing meine Hände plötzlich mit einer anmutigen Bewegung, doch einem Griff wie ein Schraubstock. Sie zwang sie zu einem scheinbar leichten Kuß an ihre Lippen. Ich starrte sie verwundert an und erhaschte in dem Spiegel an meinen Augengläsern eine Bewegung. Am Ende des Korridors stand der Erzbischof und beobachtete uns eindringlich; sie hatte mich davor bewahrt, in seiner Gegenwart die Götter zu verfluchen. Ich gab ihr durch einen Händedruck zu verstehen, daß ich begriffen hatte. Sie ließ mich los und signalisierte: Komm, Liebster, geh jetzt zuerst mit mir zu den heiligen Reliquien. Wir setzten den Weg zum Archiv fort, ohne daß uns der Erzbischof folgte. Ich fragte mich, ob er genug gesehen hatte.
    Ich dankte Etaa, und wieder berührte sie für einen Augenblick meine Hände, dann sah sie weg und signalisierte steif: Dein Leben ist mein Leben und das meines Kindes – wie du gesagt hast. Du brauchst dich nicht dafür bei mir zu bedanken.
    Dennoch fühlte ich, daß sie belohnt wurde, als wir das Repositorium betraten und sich ihre Hände beim Anblick der Bücher vor Staunen hoben – auf einem kunstvoll ausgeschmückten Arbeitstisch ruhten fünfunddreißig Bände auf gelbem Satin. Zwei Priester waren in ihre Betrachtung versunken, und weil ich keine Diener bei mir hatte, tippte ich sie selbst auf die Schulter und

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