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Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Tramainer nicht mehr mit ihnen kämpfen wollten. Sie haben von den Göttern erwartet, daß …“
    „Der König ist tot?“
    Ich nickte, wobei ich vergaß, daß man das nicht bemerken konnte. „Lang lebe der König.“ Ich vervollständigte den Gruß der Menschen und lächelte auf Alfilere hinab, der zu mir gekommen war und nun versuchte, an meinem Gesicht hochzuklettern. Etaa wiegte mein eigenes Kleines mit den Regenbogenaugen auf ihrem Schoß, wie ich es selbst gern getan hätte und endlich bald tun würde. „Deine Leiden sind gerächt wie das Leid deines Volkes.“
    „Wie … wie ist er gestorben?“
    „Er wurde von einem Pfeil getroffen in der Schlacht.“
    Ein Zucken ging über ihr Gesicht, als fühlte sie den Pfeil in ihrem eigenen Herzen. Sie ließ den Kopf sinken und schloß die Augen über ihren Tränen. „Oh, Meron …“
    „Etaa“, sagte ich, „du weinst um diesen Mann? Während dein Volk ihn haßt, weil er dich entführt und seine Göttin entweiht hat? Während sein eigenes Volk ihn dafür gehaßt hat, daß er dich behielt und damit den Zorn seiner Götter über alle brachte? Sogar die Götter haßten ihn … Du aber, die du mehr als einer von uns Grund hast, ihn zu hassen, weil er dein Leben zerstört hat, du weinst um ihn?“
    Sie schüttelte nur den Kopf und hielt die Hände vor ihre Augen. „Ich bin nicht mehr so, wie ich war, und die Welt ist es auch nicht.“ Ihre Augen fanden mein Gesicht wieder. „Die Wahrheit des einen ist die Lüge des anderen, Tarn; wie können wir sagen, welche richtig ist, wenn alles sich immerzu ändert? Wir kennen nur das, was wir fühlen … das ist alles, was wir wirklich wissen.“
    Ich spürte, wie sich die Luft in den Höhlungen meines fremdartigen Körpers leise bewegte, wie die Strömungen fremdartiger Empfindungen leise meinen Sinn rührten. „Ja, ja … wahrscheinlich stimmt das. Etaa, willst du immer noch zu deinem Mann und zu deinem Volk zurück?“
    Ihr stockte der Atem. „Hywel … er lebt? Oh, mein Liebster, mein Liebster …“ Sie riß ihren lockigen Sohn hoch und bedeckte ihn mit Küssen. „Dein Vater wird so stolz sein … Ich wußte, daß es wahr ist, ich wußte es!“ Sie lachte und weinte zugleich, ihr Gesicht leuchtete. „Oh, danke, Tarn, danke. Bring uns jetzt zu ihm, bitte! Oh, Tarn, es hat so lange gedauert! Oh, Tarn …“ Plötzlich verfiel ihr Gesicht. „Wird er mich haben wollen? Wie kann er mich wollen, wie kann er ertragen, mich anzusehen, wo ich ihn verraten habe? Wo ich mich losgerissen habe, als er vom Felsen gesprungen ist, um seine Seele vor den Neaanern zu retten? Wie kann er mir vergeben, wie kann ich wieder nach Hause gehen?“
    „Warum hast du dich losgerissen?“ fragte ich leise.
    „Ich weiß es nicht! Ich dachte – ich dachte, es wäre meines Kindes wegen.“ Sie hielt Alfilere fest an sich gedrückt, ihr Kopf ruhte an seinem, und er zappelte, um sich zu befreien. „Eine halbe Sekunde nur wich ich zurück – und dann war es zu spät, die Soldaten … Aber wie soll ich es wissen? Ich hatte so große Angst, woher soll ich wissen, daß es nicht meinetwegen geschah? Ihn sterben zu lassen, zu denken …“ Sie biß sich auf die Lippe. „Er wird mich nie wieder ansehen.“
    „Aber wer war der Feigling, Etaa? Wer warf sich von der Klippe und überließ dich den Neaanern? Hast du den Verrat begangen oder Hywel?“
    „Nein! Wer behauptet das …“
    „Hywel sagt das. Er ist der Schmied, Etaa, der Sieger in diesem Krieg, und aus welchem Grund auch die anderen gekämpft haben mögen, er hat um dich gekämpft. Alles, was er wollte, war, dich zu finden, um seinen Fehler an dir wiedergutzumachen. Er will, daß du zu ihm gebracht wirst, mehr nicht – aber nur, wenn es auch dein Wille ist. Er kann dir nicht seine Gefühle senden, doch schickt er dir dies und bittet dich … dich zu erinnern.“ Vorsichtig holte ich aus einer Hautfalte die Schachtel, die Iyohangziglepi mir gegeben hatte.
    Sie nahm mir die Schachtel ab, öffnete sie und zog daraus ein silbernes Glöckchen hervor, wie eine Blüte geformt, das Gegenstück zu dem, das sie an ihrem Ohr getragen hatte. Sie suchte in ihren Taschen das andere, das sie abgenommen hatte, und legte sie nebeneinander auf die flache Hand. Sie schloß ihre Faust und erstickte ein Klingeln; ihre Hand zitterte, und neue Tränen quollen unter ihren Wimpern hervor. Doch dann, langsam, breitete sich ein Lächeln, süß wie Musik, über ihr Gesicht, und sie preßte sie an ihr Herz.
    Alfilere

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