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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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langsam fliederfarben verfärbte, und nach einer Weile schien die Stute beinahe zu vergessen, dass er da war, und senkte den Kopf wieder ins Gras. Aber er wusste, dass sie ihn im Auge behielt.
    Es war ein langwieriger Prozess. Einerseits zermürbte Darragh die Stute mit seiner Geduld, aber auf der anderen Seite trieb sie ihn auch bis an den Rand seines Durchhaltevermögens. Überall, wo das weiße Pony hinging, war auch Darragh, still und reglos, und er versuchte keinerlei Tricks, sondern er blieb einfach nur in seiner Nähe. Manchmal rannte sie so schnell wie der Westwind aus den Tälern hinauf über die Pässe und über die Wiesen, und Darragh lief hinter ihr her, so schnell seine Menschenbeine ihn trugen, und fiel jedes Mal zurück. Aber jedes Mal fand er sie auch wieder. Er war immer schon schlank gewesen, aber jetzt war er noch dünner. Er fand hier und da bei einem Bauern etwas zu essen oder eine Hand voll Beeren, aber das war nicht viel. Seine Stiefelsohlen waren beinahe durchgelaufen. Daheim im Lager zählten seine Verwandten die Tage.
    ›Der Junge ist verrückt‹, sagte sein Vater. ›Ich habe ihm schon gesagt, dass er dieses Pony nicht brechen kann. Jeder kann sehen, dass sie verrückt ist.‹ Seine Mutter schwieg. Sie hatte ihre eigene Meinung, aber die behielt sie für sich.
    Darragh war erschöpft. Er war vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung unterwegs gewesen, er hatte sich den Knöchel verrenkt, und er hatte Blasen an den Füßen. Viele Tage waren vergangen, seit er aus dem Lager aufgebrochen war, und nun waren sie wieder an dem Hügel, an dem alles angefangen hatte. Das Pony betrachtete ihn, und er war ganz nah an der Stelle, wo sie stand. Sie war der Ansicht, dass er sich wirklich sehr merkwürdig benahm, und sie verstand nicht, was er von ihr wollte. Sie wusste, dass sie eigentlich im Osten bei der Herde sein sollte, aber aus irgendeinem Grund war sie hier bei ihm. Sie sollte wirklich gehen, die anderen warteten schon, aber … aber …
    ›Also gut‹, sagte Darragh und ging einen Schritt vorwärts, um seine schmale braune Hand sehr sanft auf den Hals des weißen Ponys zu legen. ›Du solltest auch lieber zu deinen Verwandten zurückkehren. Pass gut auf dich auf.‹ Und mit diesen Worten drehte er sich um und ging den Hügel hinunter zum Lager.«
    Ich hielt inne. Im Zimmer war es vollkommen still, selbst die Stimme aus dem Nebenzimmer hatte aufgehört zu sprechen. Draußen zwitscherten die Vögel.
    »Das kann doch nicht das Ende sein«, sagte Muirrin.
    Ich warf Maeve einen Blick zu. Sie war immer noch wach und hatte mir erwartungsvoll die Augen zugewandt.
    »Nein, das ist es wirklich nicht«, sagte ich. »Darragh ging nach Hause und wusch sich die Füße in einem Eimer warmem Wasser und aß eine große Schale Eintopf, und dann rollte er sich in seine Decke und schlief von der Abenddämmerung bis weit nach dem ersten Hahnenschrei. Seine Schwester – sie hieß Roisin – musste ihn wecken, so fest schlief er nach all dem Laufen und Stillsitzen und all seinen Versuchen, so zu denken wie ein Pony.
    ›Steh auf, Darragh‹, zischte sie ihm ins Ohr, ›steh auf und sieh dir das an.‹
    Er kam unter seiner Decke vor, blinzelte und rieb sich die Augen. Und dort, zierlich und anmutig in der Morgensonne, stand das weiße Pony und wartete auf der anderen Seite des Lagers bei den Körben und Fässern und dem anderen Gepäck. Sie legte ihren schönen Kopf ein wenig schief und sah Darragh mit diesen Augen an, die sein Vater verrückt genannt hatte, und sie wieherte leise, als wollte sie sagen: ›Also gut, ich bin jetzt hier, und was passiert nun?‹
    Im Sommer danach fragte Darraghs Vater ihn, ob er Aoife – so hatte er das weiße Pony genannt – verkaufen würde. Er würde auf dem Markt einen guten Preis für sie bekommen, denn sie war ein ausgesprochen intelligentes Geschöpf, obwohl sie nur gehorchte, wenn Darragh auf ihrem Rücken saß. Nur einmal hatte er ein Mädchen zu einem Ritt mitgenommen, und die Stute hatte sich hervorragend benommen. Darragh wollte sich nicht von ihr trennen.
    ›Das kann ich nicht‹, sagte er zu seinem Vater. ›Sie gehört mir nicht, also kann ich sie nicht verkaufen.‹
    ›Was ist das für ein Unsinn?‹, wollte sein Vater wissen. ›Du hast sie gefangen, du hast sie gezähmt, selbstverständlich gehört sie dir. Ich kenne mindestens fünf Männer, die gutes Silber für eine solche Stute zahlen würden.‹
    ›So geht das nicht‹, antwortete Darragh und

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