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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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müsse lernen, solche Wünsche beiseite zu schieben. Ich hatte von der Morgen- bis zur Abenddämmerung neben den Stehenden Steinen gesessen oder auf einem Sims der Honigwabe. Aber heute brauchte ich meine Decke und mein kleines Feuer. Ich wurde nachlässig. Ich hatte mir das Leben dieser Leute unter die Haut gehen lassen und zugelassen, dass es mich veränderte.
    Zeit verging. Ich begann mit der Überlieferung, weil das bei mir automatisch funktionierte. Ihr Fluss trug mich mit sich, zumindest bis zu einem bestimmten Punkt. Ich konzentrierte mich auf das Feuer; ich dachte an all seine Formen und Gestalten und begann, tiefer in Trance zu sinken. Der Atem verlangsamte sich, der Körper badete im Licht, der Geist begann sich zu lösen, stand direkt am Rand … und dann klopfte es höflich an der Tür.
    »Fainne? Fainne!«
    Es war Deirdre. Ich war nun weit entfernt und hörte ihre Stimme wie durch eine Schranke hindurch. Sie schien wie vom Boden eines Brunnens her zu kommen. Ich ignorierte sie und klammerte mich mit aller Willenskraft an meine Ruhe.
    »Fainne!«
    »Vielleicht schläft sie.« Das war Eilis.
    »Es ist mitten am Tag. Sie kann doch jetzt nicht schlafen.«
    »Wir sollten sie lieber in Ruhe lassen.« Clodaghs Stimme, die Stimme der Vernunft. »Sie hat doch gesagt –«
    »Ja, aber –«
    »Deirdre. Es hieß, wir sollten sie auf keinen Fall stören. Ganz gleich, was passiert.«
    »Ja, aber –«
    Ihre Stimmen verklangen. Aber sie hatten mich gestört. Ich stellte fest, dass ich nicht in meine Trance zurückkehren konnte, und mir war ein wenig übel, wie es immer passiert, wenn jemand abrupt aus diesem Bewusstseinszustand gerissen wird. Nun, da die Worte eingedrungen waren, folgten ihnen Gedanken und Gefühle, und mein Geist erzählte mir wieder die Ereignisse des vergangenen Tages und der letzten Nacht und konnte das alles nicht begreifen. Also gut. Eamonn hatte eine Frau gewollt, und als ich ihm mit meinem kleinen Zauber einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, hatte er sich anderswohin gewandt. Das war durchaus logisch. Warum sollte ich etwas gegen die Entdeckung haben, dass eine so gut war wie die andere? Warum sollte es mich interessieren, dass er es nur zunächst bei mir versucht hatte, weil er glaubte, ich würde leichte Beute sein, arm, unschuldig und leicht zu beeindrucken, wie ich ihm vorkommen mochte? Ich konnte nicht beides haben. Ich würde Großmutters Spiel nicht mit ihm spielen, das hatte ich bereits beschlossen, bevor wir zusammen ausgeritten waren. Warum zählte es dann, dass er geglaubt hatte, dass ich so billig zu haben wäre und sich so schnell mit einem Ersatz zufrieden gegeben hatte? Was hatte ich geglaubt – dass er mich wirklich für schön hielt? Dass ich das Heilmittel für all seine Probleme darstellte? Vielleicht, dass er daran dachte, mich zu heiraten?
    Du bist nichts, sagte ich mir. Er will nur Liadan. Für ihn sind alle anderen Frauen gleich. Also bist du für ihn nur eine weitere Jungfrau, die er sich nehmen wollte. Du bist nichts. Was für ein Mann würde schon ein Mädchen wie dich lieben? Du solltest dich lieber an das halten, was du kannst.
    Ich starrte quer durchs Zimmer zu den Spinnweben hin, die die Tür umgaben. Die große Spinne in der Ecke hockte oberhalb des Hauptnetzes, dunkel und reglos, und wartete, und ich konzentrierte mich auf sie. Sie schauderte und zitterte, und dann saß an der Steinmauer ein winziges edelsteinfarbenes Geschöpf, das halb Biene, halb Vogel war, und klammerte sich mit kleinen Klauen an den Füßen an die glatte Oberfläche. Es sah aus, als fühlte es sich da nicht sonderlich wohl und wäre lieber auf einer Wiese gewesen, auf der ein Regenbogen exotischer Blüten blühte. Ich verwandelte das Geschöpf wieder zurück in die Spinne und sah zu, wie sie davonhuschte und sich versteckte, zweifellos ein wenig erschüttert.
    Ich stand auf, denn im Augenblick konnte ich nicht mehr ruhig sitzen, und goss mir einen Becher Wasser ein. Als ich mich über das Tablett beugte, den Krug in der Hand, fiel etwas mit einem kleinen Ploppen in den Becher. Es war das Bronzeamulett von meinem Hals, das Großmutter mir gegeben hatte. Trage es ständig. Nimm es nie ab, hast du verstanden? Es wird dich beschützen. Ich holte es aus dem Becher und trocknete es an meinem Rock ab. Die Schnur, an der es gehangen hatte, war durchgescheuert. Ich würde eine andere finden müssen. Für den Augenblick legte ich es vorsichtig in die Holztruhe, die ich aus Sevenwaters

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