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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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ihrem eigenen Willen noch besser unterwerfen. Ich hatte vor langer Zeit einmal von solchen Dingen gelesen, auf den verblassten Seiten eines verstaubten alten Zauberbuchs. Solange ich dieses Amulett trug, konnte sie mich finden. Sobald ich es abgelegt hatte, hatte sie es gewusst und war rasch zu mir gekommen, zornig und … und noch etwas anderes. Beinahe verängstigt. Als wäre eine Fainne, die sie nicht beherrschen konnte, unendlich viel gefährlicher für sie als alles Feenvolk der Welt. Aber das konnte nicht stimmen. Als Zauberin war ich nur halb ausgebildet, kaum erprobt in den herausfordernderen Aspekten unseres Handwerks, behindert von meiner Jugend und Unerfahrenheit. Im Gegensatz dazu war meine Großmutter eine Meisterin, mächtiger sogar als mein Vater, denn hatte sie ihm nicht seine tödliche Krankheit auferlegt? Ich musste mich geirrt haben. Ich warf einen Blick auf die Holztruhe. Das Amulett war dort sicher. Am Morgen musste ich es wieder anlegen. Ich musste mein Wort halten. Es war die einzige Möglichkeit. Ich würde sie schützen, meinen Vater, die Mädchen, die Familie und – und alle, die mir nahe standen. Ich konnte nicht zusehen, wie sie sie einen nach dem anderen vernichtete.
    Ich hörte, wie sich Leute über den Flur bewegten. Es war noch nicht so spät. Großmutter war nach Beginn des Abendessens erschienen und vor dem letzten Kerzenlöschen gegangen. Ich könnte jetzt schon mit Eamonn sprechen, solange ich noch den Mut dazu hatte. Rasch zog ich mein Nachthemd aus und zog schaudernd ein neues Kleid an. Ich brachte mein Haar so gut wie möglich in Ordnung. Ich glitt in die Pantoffeln und schwor, mich nie wieder über meinen Fuß zu beschweren. Ich spritzte mir Wasser aus dem Krug ins Gesicht und spürte dabei die ganze Zeit, wie heftig mein Herz klopfte und wie sich kalte Angst in mir ausbreitete. Dieses Gefühl würde jetzt nie wieder verschwinden, bis die Aufgabe, die sie mir aufgetragen hatte, erledigt war. Und danach würde ohnehin nichts mehr zählen.
    Ich öffnete vorsichtig die Tür und hoffte, unbemerkt durch die Halle schlüpfen zu können. Aber nach einem Schritt blieb ich bereits stehen. Auf dem Boden im Flur saß Sibeal, in ihren Umhang gewickelt, um nicht zu sehr zu frieren. Sie saß so reglos da, dass ich sie nur gerade so eben im Schatten erkennen konnte. Sie sagte kein Wort, aber sie blickte zu mir auf, und meine Kerzenflamme spiegelte sich winzig, aber deutlich in der wasserklaren Oberfläche ihrer seltsamen Augen. Schweigend stand sie auf. Als ich die Tür weiter öffnete, ging sie wie ein kleiner Geist an mir vorbei in mein Zimmer. Ich schloss die Tür hinter uns.
    Einen Augenblick lang sagte sie nichts.
    »Was ist los, Sibeal? Warum hast du da draußen gewartet?«
    »Die anderen sagten, ich sollte es dir nicht erzählen. Nicht jetzt. Sie sagten, es wäre zu spät.«
    »Was denn? Mir was nicht zu erzählen?« Konnte es noch etwas Schlimmeres geben als das, was an diesem Tag geschehen war? Ich ging rasch im Geist alle Möglichkeiten durch. Nachrichten aus Sevenwaters. Maeve. Nachrichten von weiter weg. Mein Vater. »Was ist denn? Sag es mir!«
    Das Kind sah mich ernst an. »Wir haben es ja versucht. Aber du hast nicht aufgemacht. Und dann wurde Onkel Eamonn böse und hat uns weggeschickt.«
    Ich packte sie bei beiden Armen und schüttelte sie ein wenig. »Sag es mir!«, zischte ich durch zusammengebissene Zähne.
    »Du brauchst mir nicht wehzutun. Und du brauchst nicht böse zu sein.«
    Ich erinnerte mich daran, dass sie erst acht Jahre alt war und dass sie schweigend im Dunkeln gewartet hatte, bis ich bereit war, mein Zimmer zu verlassen. »Es tut mir Leid. Ich – ich mache mir nur Gedanken, das ist alles. Sind es schlechte Nachrichten?«
    »Nein. Aber dieses Pony war hier. Das aus deinen Geschichten. Wir dachten, du würdest es gerne wissen. Wir dachten, du würdest es gerne sehen. Aber jetzt ist es zu spät.«
    Wenn ich zuvor bereits Angst erfahren hatte, dann war das nichts gegen die Qual, die jetzt mein Herz beinahe zerriss.
    »Welches Pony?«, flüsterte ich, als würde ich die Antwort nicht schon wissen.
    »Das weiße Pony. Du weißt schon, das aus deinen Geschichten. Er hat uns erlaubt, sie zu streicheln, und Eilis hat ihr eine Möhre gegeben.«
    »Er?«, hauchte ich.
    »Der Mann. Der Mann aus den Geschichten, der mit dem kleinen goldenen Ring im Ohr. Er hat nach dir gefragt.«
    »Darragh? Darragh war hier?« Meine Stimme bebte. Er war hier gewesen, und Großmutter

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