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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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war hier gewesen, und sie hatte gesagt – sie hatte gesagt: »Du könntest einen Hausiererjungen mit einer Botschaft schicken.« Sie hatte gesagt: »Es könnte durchaus sein, dass er unterwegs umgebracht wird.«
    »Vielleicht war er es ja nicht«, klammerte ich mich an diese verrückte Hoffnung. »Warum sollte er herkommen? Er hat Arbeit im Westen, viele Meilen von Glencarnagh entfernt. Vielleicht war es jemand anderes. Wo ist er jetzt, Sibeal? Rasch, sag es mir!«
    Sibeals Miene war feierlich. »Er ist weg. Er und das Pony. Onkel Eamonn hat ihn weggeschickt. Onkel Eamonn war böse.«
    »Wie lange ist das her? Wo ist er hingegangen?«
    »Weg. Ich weiß nicht, wohin.«
    »Wohin? Nach Osten, nach Sevenwaters? Nach Westen? Wohin? Und wie lange ist das her, Sibeal?«
    »Was ist denn los, Fainne?« Ihre Augen waren groß, und eine beinahe ängstliche Frage stand darin.
    »Es tut mir Leid, es tut mir Leid. Es ist alles in Ordnung. Es war nett von dir zu warten, bis ich herauskomme, damit du es mir sagen konntest. Ich bin nur – ich bin nur –«
    »Tut es dir Leid, dass du ihn verpasst hast? Das dachten wir uns. Deswegen haben wir versucht, es dir schon vorher zu erzählen. Aber du wolltest nicht aufmachen.«
    »Es tut mir Leid«, sagte ich abermals. Mehr, als sie je wissen würde. Dass er hier gewesen war, war seltsam genug. Wer wusste schon, wieso er gekommen war? Aber dass ich ihn nicht gesehen hatte, war wahrlich grausam. Es war vermutlich besser so. Er war weg, und ich würde ihn nicht wieder sehen, und das bedeutete, dass er sicher vor Großmutter war. Vielleicht war er in Sevenwaters gewesen, um die alte Janis zu besuchen. Vielleicht ging es darum. Es war jedenfalls besser so. Viel besser. Aber warum tat es dann so weh? Warum fühlte es sich an, als würde mein Herz in zwei Teile gerissen?
    »Es tut mir Leid, Fainne«, sagte Sibeal. »Ich glaube, er ist nach Westen geritten. Vor Sonnenuntergang. Er sagte, er müsse bald wieder bei seinem Arbeitgeber sein. Aber er wollte warten, bis es dir besser ging und du herunterkommen konntest, um mit ihm zu sprechen. Onkel Eamonn hat ihn gezwungen wegzugehen. Onkel Eamonn war wirklich böse.«
    »Ich – war er – geht es Darragh gut? Hat er mit dir gesprochen?« Sie sollte mir alles erzählen, jedes Wort, jede Geste. Nicht, dass es je genügen würde.
    »Er hat mir eine Botschaft für dich gegeben«, sagte Sibeal feierlich. »Er hat es mich auswendig lernen lassen.«
    Ich wartete.
    »Er sagte, sag für mich Lebewohl zu Löckchen. Sag ihr, sie soll gut auf sich aufpassen, bis ich wieder da bin. Er wollte, dass ich es genau wiederhole.«
    »Aber er darf nicht zurückkommen!« Meine Stimme bebte, als neue Angst mich erfasste. »Er darf es nicht! Ich kann es nicht zulassen!«
    »Was ist denn, Fainne?« Sibeal sah mich forschend und beunruhigt an.
    »Nichts«, murmelte ich. »Nichts. Es ist alles in Ordnung, Sibeal. Du hast das sehr gut gemacht. Ich bin dir etwas schuldig. Aber jetzt ist Schlafenszeit, und dir ist kalt. Also geh zurück zu den anderen. Und … Sibeal?«
    Sie wandte mir ihr kleines bleiches Gesicht zu.
    »Sprich nicht mehr über diese Sache. Bitte. Ich bitte dich nur ungern darum, vor anderen Geheimnisse zu haben. Aber bitte, erzähl deinem Onkel nichts davon, und sprich auch mit deinen Schwestern nicht mehr darüber. Es ist sehr wichtig.«
    Sie nickte, dann schlüpfte sie nach draußen.
    Ich hatte eine Nacht. Nur eine einzige Nacht, bevor ich den Talisman wieder umlegen und das Geschöpf meiner Großmutter sein musste. Darragh war hier gewesen, und ich hatte ihn verpasst. Darragh hatte gesagt, er würde zurückkommen. Das durfte er nicht. Ich hatte Zeit bis zum Morgengrauen, um ihn zu finden und das zu sagen. Danach konnte ich keine Geheimnisse mehr vor Großmutter bewahren. Danach würde es nicht mehr möglich sein, Freunde zu haben.
    Ein gutes Pony kann zwischen Sonnenuntergang und Schlafenszeit noch eine weite Strecke zurücklegen. Über offenes Land wären das viele Meilen, wenn sein Reiter es eilig hat. Aoife war vielleicht schon über die Grenzen von Glencarnagh hinaus und nach Westen unterwegs nach Caenn na Mara. Ich wusste nur eins sicher: Ich konnte Eamonn nicht um Hilfe bitten. Ein Mann, der nimmt, was mir gehört, bezahlt dafür, hatte er gesagt. Ich hörte Sibeals ernste, leise Stimme. Onkel Eamonn war sehr böse. Es hätte keinen Sinn, den Flur entlangzugehen und höflich um ein Pferd und ein paar Männer mit Fackeln zu bitten. Ich musste

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