Das Kind der Stürme
erklärte Liadan kühl. »Es ist Zeit, dass die Mädchen nach Hause kommen. Und was die andere Sache angeht, das ist vollkommen unmöglich. Wenn du es im Tageslicht betrachtest, nachdem du ein wenig nachgedacht hast, wirst sogar du das einsehen, Eamonn.«
»Ich denke nicht. Mir kommt eine solche Verbindung recht angemessen vor, und ich bin sicher, dass Aisling meiner Meinung sein wird. Meine Schwester hat mich nun schon so lange bedrängt zu heiraten, dass ich dieser Angelegenheiten müde bin. Und ich denke, es ist unwahrscheinlich, dass deine Nichte einen besseren Bewerber finden wird.«
»Es ist nicht möglich«, erklärte Sean entschlossen. »Aus Gründen, über die wir hier lieber nicht sprechen sollten.«
»Wenn du auf Fainnes Herkunft anspielst, dann weiß ich davon. Sie hat es mir selbst erzählt, was meiner Ansicht nach sehr mutig von ihr war. Aber ich finde, wenn wir darüber sprechen wollen, sollten wir die Damen vorher entschuldigen. Fainne hat sich nicht wohl gefühlt und ist sehr müde. Solche Dinge sollten am besten unter Männern besprochen werden.«
Ich sah, wie Tante Liadans Mundwinkel zuckten, aber ihr Blick war vollkommen ernst. Sie schaute ihren Bruder an, Sean erwiderte diesen Blick, und ich musste wieder daran denken, dass Sean und Liadan Zwillinge waren. Mir fiel wieder ein, was Clodagh mir erzählt hatte: dass sie Botschaften miteinander austauschen konnten, ganz gleich, wie weit sie voneinander entfernt waren. Vom dunklen, schattigen Wald von Sevenwaters in die Festung von Inis Eala mit ihren hohen Mauern oder bis über das Meer hinweg nach Harrowfield – geistige Botschaften, die schneller und auf geraderem Weg reisten als ein Pfeil oder der flinkste Hirsch.
»Dieses eine Mal bin ich deiner Meinung, Eamonn.« Liadan stand auf und gähnte. »Wir können Fainne die Einzelheiten zweifellos ersparen, und was mich angeht, ich bin müde und will nichts weiter als ein warmes Bett. Ich werde mich darum kümmern, dass unsere Leute gut untergebracht sind, und dann ziehe ich mich zurück. Glaub mir, ich möchte hier nicht länger bleiben als unbedingt notwendig. Komm, Fainne. Sollen wir gehen?«
Als wir das Zimmer verließen, wo die Männer in angespanntem Schweigen verharrten, warf ich einen Blick zurück zu Eamonn. Seine Miene war eine seltsame Mischung, in der die Qual hoffnungsloser Liebe im Widerstreit lag mit einem Hass, der über lange Jahre genährt worden war. Ich hatte Recht gehabt. Es war Liadan, der sein Blick galt, und man sah diesem Blick an, wie sehr er mit sich kämpfte. Für ihn zählte nichts anderes als sie.
KAPITEL 10
Sie war zierlich, anmutig und gut erzogen, und sie beherrschte die Situation vollkommen. Eamonns Leute nahmen sofort Habachtstellung ein, dann eilten sie sich zu tun, was sie befahl. Ich folgte ihr und fühlte mich dabei wie eine ungeschickte Riesin, sprachlos und ungelenk, bis alles zu ihrer Zufriedenheit erledigt war und sie ohne jede vorherige Frage ankündigte, dass sie mein Schlafzimmer heute Nacht mit mir teilen würde, denn das wäre für alle Beteiligten einfacher. Als wir uns im Kerzenlicht dorthin begaben, fragte ich sie ganz offen: »Traust du mir nicht, Tante?«
Sie warf mir einen kühlen, abschätzenden Seitenblick zu.
»Ich traue Eamonn nicht«, sagte sie. »Ich weiß, dass er beinahe zu allem fähig ist. Und es scheint so, als müsste ich zu der Liste noch einiges hinzufügen, zum Beispiel ein junges Mädchen auszunutzen.«
Ich antwortete nicht, bis wir im Zimmer waren und die Tür hinter uns geschlossen hatten. Liadan hatte eine kleine Tasche mit einem Nachthemd und einem Kamm dabei. Es war deutlich zu erkennen, dass sie nicht vorhatte, lange hier zu bleiben. Ich sah zu, wie sie die Haarnadeln aus dem Zopf zog.
»Bist du böse auf mich?«, fragte ich.
Sie hielt inne und sah mich sehr direkt an. »Nein, meine Liebe«, sagte sie. »Nicht böse. Nur ein wenig traurig. Ich habe mich so darauf gefreut, dich kennen zu lernen! Ich hätte dich am liebsten sofort zurückgeholt, aber Maeve brauchte mich in Sevenwaters, und Aisling hat mich überstimmt. Wenn ich rechtzeitig in Sevenwaters gewesen wäre, wäre keine von euch diesem Ort auch nur nahe gekommen. Nun ist unsere erste Begegnung ziemlich unangenehm verlaufen, aber das ist Eamonns Schuld und nicht deine. Ich weiß, du bist unschuldig – bei einem Mädchen deines Alters könnte es kaum anders sein.«
Nun hatte sie mich wirklich verwirrt. »Du hast dich gefreut?«, fragte ich und setzte
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