Das Kind der Stürme
wissen können, wie sich die Dinge entwickeln. Glaub nicht, dass ich herzlos wäre, Fainne. Aber in gewisser Weise ist Niamh an diesen Dingen selbst schuld. Sie hat sich einen Mann ausgesucht, den sie nicht haben konnte.«
Ich starrte ihn wütend an. »Wenn sie das nicht getan hätte, würde ich nicht existieren, Onkel. Ich bin ein Kind dieser verbotenen Verbindung. Glaubst du nicht, eine Ehe mit Eamonn ist meine beste Gelegenheit, etwas aus mir zu machen?«
Sean seufzte und setzte sich an den kleinen Tisch. »Du solltest mit Liadan darüber sprechen«, sagte er. »Es gibt da einige Dinge, die besser unter Frauen besprochen werden sollten.«
»Nein«, sagte ich rasch. »Das sollte nicht notwendig sein. Gib mir einfach einen guten Grund dafür, dass Eamonn und ich nicht heiraten sollten, einen Grund über den Altersunterschied hinaus.« Ich glaubte, ihn in die Enge getrieben zu haben, an einen Punkt, wo er mir erklären musste, was tatsächlich zwischen Eamonn und Liadan vorgefallen war, wo ich endlich erfahren würde, welches Geheimnis beide so angestrengt hüteten und aus dem so große Bitterkeit entstanden war. Aber Sean war ein viel zu guter Stratege, um darauf einzugehen.
»Also gut«, sagte er, »wir brauchen die Erlaubnis deines Vaters. Liadan sagt, sie ist überzeugt, dass er sie nicht geben wird. Aber wenn du wirklich entschlossen bist, Eamonn zu heiraten, können wir uns zumindest davon überzeugen. Sag mir, wo Ciarán sich aufhält, und ich werde einen Boten schicken und um seinen Segen für die Heirat bitten.«
»Nein!« Ich konnte meine Angst nicht beherrschen. »Nein, das darfst du nicht tun!« Sobald ich die Worte ausgesprochen hatte, konnte ich sie nicht mehr zurücknehmen.
Sean warf mir einen forschenden Blick zu. »Ich verstehe«, sagte er. »Dennoch, wir müssen auf die eine oder andere Art auf diesen Brief reagieren, oder Eamonn wird hier auftauchen und eine Antwort verlangen. Du bringst mich in eine sehr unangenehme Situation, Nichte.«
»Das tut mir Leid«, murmelte ich.
»Schon gut. Conor wird morgen eintreffen, um das Ritual zur Sonnenwende zu vollziehen; wir werden mit ihm und mit Liadan sprechen, bevor wir entscheiden, wie wir unsere Antwort formulieren. Brighid steh uns bei, ich denke manchmal an die Zeit, als ein solches Angebot für deine Mutter kam und sie sich weigerte, auch nur zuzuhören. Damals hatte die Zauberin, die der alte Feind unserer Familie ist, schon wieder ihre Hand über uns und benutzte uns wie Schachfiguren in ihrem eigenen Spiel. Wenn man das recht betrachtet, hatte die arme Niamh wahrscheinlich nie eine Chance.«
Mir wurde kalt. Ich dachte an meine Mutter, wie sie von einem Sims ins Nichts sprang, und an Liadans Worte: Das ist mir immer unmöglich vorgekommen. Eine schreckliche Idee setzte sich in meinem Kopf fest und weigerte sich, wieder zu verschwinden.
»Du brauchst keine Angst vor Liadan zu haben«, sagte Sean mit einem dünnen Lächeln. »Sie hat ihre Schwester sehr gern gehabt, und sie will dir ganz bestimmt nicht schaden.«
»Angst? Selbstverständlich habe ich keine Angst.« Aber selbst für mich klangen diese Worte alles andere als überzeugend. Ich sah wieder meinen Onkel an. Er saß entspannt da und streichelte den Kopf des großen Hundes, der neben ihm saß. Der Hund hatte die Augen genussvoll halb geschlossen. Zu Seans Füßen lag der andere Hund und schlief. »Es ist nur –«
»Sag es mir, Fainne.« Seine Stimme war freundlich. »Ich möchte, dass du dich hier zu Hause fühlst, das weißt du. Ich möchte, dass du nicht anders behandelt wirst und dich nicht anders fühlst als eine meiner Töchter.«
»Es ist nur … diese – diese Macht, diese Fähigkeit, ohne Worte zu sprechen und in anderer Menschen Gedanken zu schauen – sie kann das, das weiß ich. Ich – ich habe Angst davor, Onkel. Ich habe Angst, dass Tante Liadan in meinen Kopf schaut und da Dinge sieht, die … vertraulich sind.« Warum hatte ich das gesagt? Es würde ihn doch nur misstrauisch machen. »Ein Mädchen in meinem Alter hat Geheimnisse«, fügte ich hastig hinzu. »So etwas erzählt sie vielleicht ihrer besten Freundin, aber niemandem sonst.«
»Du solltest mit ihr sprechen«, sagte Sean wieder. »Es stimmt, es gibt Menschen in unserer Familie, die diese Fähigkeit haben. Das Ausmaß davon ist unterschiedlich; bei Liadan ist es so ausgeprägt wie bei sonst niemandem, den ich kenne. Aber sie benutzt ihre Fähigkeiten nie, um zu spionieren oder sich einzumischen,
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