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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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abgelegen genug waren: Lichtungen zwischen den Winterbäumen, verlassene Seeufer, große, mit Flechten überzogene Steine. Dies waren Orte, an denen man das Handwerk gut im Geheimen hätte üben können. Aber nun war kein Druide mehr da, der mich begleitete, und es gab überall Wachen. Außerdem, wer wüsste schon, welch seltsame Geschöpfe einem in dieser dunklen Wildnis zusahen, nur zu bereit, all meine Geheimnisse herauszufinden und zu verhindern, dass ich handelte?
    Ich war voller Zweifel und erschrocken über meinen eigenen Mangel an Fortschritten. Wenn ich zu lange nicht übte, wenn ich zu lange darüber nachdachte, was ich tun wollte und was es bedeutete, dann würde ich den Mut verlieren, es überhaupt zu versuchen. Wenn ich jetzt die Schnur an meinem Hals berührte, schien sie nicht dabei zu helfen, mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren, sondern flüsterte eine andere Botschaft: Du bist ein Kind von Sevenwaters, sagte sie mir, du bist eine von uns. Aber ich hatte Großmutters Warnung nicht vergessen. Sie wollte Fortschritte sehen. Wenn es keine gab, würde sie zurückkommen, und dann würde sie andere für meinen Ungehorsam bestrafen. Und dennoch, wenn ich darüber nachdachte, kam es mir so vor, als wären die Leute in Sevenwaters zu einem schrecklichen Schicksal verurteilt, ganz gleich, was ich tat. Ich konnte vielleicht die Unschuldigen vor Großmutters Zorn schützen, indem ich ihr gehorchte. Wenn ich das tat, würde es keine Feuer und keine weiteren Stürze mehr geben und keine dieser anderen Dinge, von denen sie gesprochen hatte, wie Vergiftungen und plötzliches Verschwinden. Alle, die ich schützen wollte, würden sicher sein, hier in Sevenwaters, in Kerry und weit im Westen, in Caenn na Mara. Das könnte ich vielleicht erreichen. Aber langfristig gesehen würde diese Familie in Chaos und Verzweiflung versinken, wenn ich tat, was Großmutter wollte, und die Verbündeten den Kampf um die Inseln verloren. War das nicht eine größere Katastrophe als die persönlichen Verluste, die ich vermeiden wollte? Tatsächlich würde, wenn man den Alten glauben durfte, ein Verlust der Inseln diesmal mindestens so schwerwiegende Bedeutung haben wie das Verschwinden der großen Völker von Erin: das Feenvolk, das ältere Volk, die vielen, seltsamen Anderweltgeschöpfe unter der Oberfläche der Dinge. Und was die Menschen anging – sie würden die Mysterien des Geistes für immer verlieren. Was für eine Art von Mensch konnte man ohne so etwas wohl sein? Sie würden aufhören, Hüter der Erde und des Ozeans zu sein, und zu nichts weiter als Parasiten werden, die von der Welt lebten, ohne darauf zu achten, was das bedeutete, ohne diesen heiligen Pakt zu achten. Hatte Großmutter das wirklich vor? Die Entscheidung, der ich gegenüberstand, war keine wirkliche Wahl; beide Wege endeten in Finsternis. Andererseits … was erwartete ich schon, mit diesem verfluchten Blut in meinen Adern? Die von unserer Art konnten eben nicht den Weg des Lichts beschreiten. Ich war kein Kind von Sevenwaters; wohin ich mich auch wandte, ich konnte nichts anderes tun, als meinen Verwandten und allem, was sie so leidenschaftlich zu bewahren versuchten, Schaden zuzufügen.
    Spät am Abend in meinem Zimmer übte ich so gut ich konnte. Morgens war ich blass, gähnte und war schlecht gelaunt. Tante Liadan beobachtete mich, aber ihre Miene verriet nichts. Auch Tante Aisling beobachtete mich, runzelte die Stirn und befahl mir, mich nachmittags auszuruhen. Sie sagte ihren Töchtern, sie sollten mich ein wenig in Frieden lassen. Ich nutzte die Zeit dankbar für weitere Übungen. Ich wagte noch nicht, eine vollständige Verwandlung zu versuchen, aber ich kam diesem Ziel immer näher. Ich übte auch andere Dinge wieder; die Manipulation von Gegenständen, was mir inzwischen recht leicht fiel, das Fallenlassen und Auffangen, unmerkliche Bewegungen, tückische Veränderungen von Form und Größe. Einmal erschreckte ich mich selbst mit einer riesigen Küchenschabe; zum Glück war ich im Stande, den Zauber mit einem Fingerschnippen rückgängig zu machen. Eine Spinne verlor ich allerdings, nachdem ich sie so klein gemacht hatte, dass ich sie nicht mehr sehen konnte, um sie zurückzuverändern. Es gelang mir noch nicht, diesen Zauber auch blind auszuführen. Ich übte Veränderungen vor dem Spiegel, zunächst die leichteren, da ich immer nur wenig Zeit hatte: Das hübschere, anmutigere Mädchen, das auf dem Pferdemarkt getanzt hatte; eine sehr

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