Das Kind der Stürme
wieder verschwand und wieder auftauchte. Vielleicht hat sie das bewirkt, dachte ich. Vielleicht hat Großmutter ihn hergebracht, und jetzt will sie, dass ich zusehe, wie er ertrinkt, damit sie mir zeigen kann, worin der Preis für meinen Ungehorsam besteht. Sie will mir zeigen, wie dumm ich war, anzunehmen, dass ich stark genug wäre.
»Dein junger Mann ist sehr mutig, Fainne«, sagte Brenna, als wir die Felsen erreichten und Johnny den anderen befahl, das Boot ruhig zu halten.
»Eher sehr dumm«, flüsterte ich, aber sie hatte selbstverständlich Recht. Darragh schwamm stetig weiter, als wüsste er nicht, was Angst ist, als verstünde er nichts von den Grenzen eines Sterblichen. Trotz meiner Angst und meines Zorns war ich so stolz auf ihn, dass ich glaubte, mein Herz würde brechen. »Und er ist nicht mein junger Mann.«
»Nein?«, wollte Johnny wissen. »Nun, eins ist sicher. Es ist nicht die Aussicht auf Unterricht im Schwertkampf, die ihn so weit gebracht hat.«
Wir warteten; die Männer benutzten die gleiche Technik, die sie die ganze Zeit geübt hatten, ein Balancieren der Ruder zu beiden Seiten, das das Boot trotz der Flut an Ort und Stelle hielt. Das Warten kam mir endlos vor, aber wahrscheinlich dauerte es gar nicht so lange; der dunkle Kopf hatte nun weniger Ähnlichkeit mit einem Meeresgeschöpf und war deutlicher als der eines Mannes zu identifizieren, und das rhythmische Bewegen der braunen Arme war durch das Wasser zu erkennen, ebenso wie die bleiche Gesichtsfarbe und der grimmig-entschlossene Blick in den dunklen Augen. Schließlich erreichte Darragh das Boot, wurde hereingezogen und mir einfach vor die Füße gelegt, bleich, schaudernd und kaum im Stande, ein Wort von sich zu geben. Die Männer veränderten ihren Griff an den Rudern und machten sich auf den Heimweg.
Irgendwo tief in mir gab es Tränen, aber ich konnte sie nicht weinen: Tränen der Freude, Tränen schrecklichen Kummers, Tränen der Angst. Ich nahm mein wollenes Schultertuch ab und wickelte es um seine zitternden Schultern.
»Wie kannst du mir solche Angst einjagen?«, zischte ich. »Du solltest dich schämen!«
Da beugte er sich vor, nur ein wenig, lehnte den Kopf an meine Knie, und ich hörte ihn durch klappernde Zähne flüstern: »Sch-sch-schick mich n-n-nicht wieder weg.«
Die mächtigste Zauberin der Welt hätte mich in diesem Augenblick nicht aufhalten können. Ich berührte seine Wange und ließ meine Finger einen Herzschlag lang dort. Ich sah den Hauch eines schiefen Grinsens auf seinen Lippen, dann nahm ich die Hand weg und schloss die Augen fest. Ich wollte ihn nicht ansehen, und dennoch sehnte ich mich danach. Ich sehnte mich danach, ihn wieder und wieder anzuschauen, mir alles einzuprägen, einen Schatz von Erinnerungen anzulegen wie einen Hort kostbarer Edelsteine, die man für schlechte Zeiten beiseite legt. Ich wollte seine kalten Hände mit meinen eigenen wärmen, wollte ihn fest umarmen, bis er aufhörte zu zittern. Ich wollte sehen, wie die Farbe, dieses liebenswerte Lächeln und der vergnügte Blick in seine erstarrten Züge zurückkehrten. Ich wollte, was ich nicht haben konnte. Es war meine große Schwäche, und wenn ich es jetzt nicht unterdrückte, würde es mein Untergang sein, ebenso wie der von Darragh und des großen Feldzugs von Sevenwaters. Wenn ich jetzt schwach wurde, würde Lady Oonagh über alles, was gut und richtig war, triumphieren. In meiner Schwäche, in allem, was ich mir so sehnlich wünschte, hatte Großmutter das beste Werkzeug, um mich zu manipulieren. Ich durfte so etwas nicht zulassen. Irgendwie musste ich das Darragh begreiflich machen. Also behielt ich weiterhin die Augen fest geschlossen und wusste dennoch mit jedem einzelnen Teil meines Körpers genau, wo er saß und wie er aussah, und ich wünschte mir so sehr, dass er bleiben könnte, ebenso sehr wie ich mir wünschte, dass er ginge, und es riss mich in Stücke.
Von dem Augenblick an, als Darragh einen Fuß auf die Insel setzte, schaudernd und klatschnass, hatte er seinen Ruf weg. Man entkommt den Auswirkungen einer solchen Zurschaustellung von Kraft und Mut nicht leicht. Es gefiel den Leuten. Es war etwas, das sie verstanden. Und sie mochten ihn – wer hätte ihn nicht gern haben können? Innerhalb von wenigen Tagen war er jedermanns Freund. Sogar Gareth und Corentin mussten widerstrebend zugeben, dass er fleißig und lernwillig war. Das war auch notwendig; er hatte viel zu lernen und nicht viel Zeit. Johnny erwartete
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